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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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riecht er nichts, wunderte sich Juliane, die den Geruch von Johannes noch immer in der Nase hatte.
    Noch nie in seinem Leben war sich Matthäus so überflüssig vorgekommen. Deutlich spürte er die Spannung zwischen den beiden anderen und es kostete ihn große Überwindung, nicht aus der Hütte zu rennen und sich in die eiskalte Beresina zu stürzen. Wenn ich nicht genau wüßte, daß mich Juliane noch braucht … dachte er.
    »Hast du noch etwas in dein Heft geschrieben?« fragte Johannes, um das Schweigen zu brechen.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was soll ich denn schreiben?« rief sie. »Und für wen?«
    Als Johannes beziehungsvoll auf ihren Bauch deutete, gab sie ihm mit einem verzweifelten Blick zu verstehen, daß Matthäus nicht Bescheid wüßte und fuhr hastig fort: »Wir werden geboren, wir leben und wir sterben und all das tun wir allein. Was gibt's da noch zu sagen?«
    Sie klang so verzweifelt, daß Matthäus es über sich brachte, ihre Hand zu ergreifen.
    »Du lebst nicht allein und eben deshalb hast du dein Büchlein angelegt«, formulierte er mühsam. »Sag den Menschen doch, was du zu sagen hast.«
    »Ich soll es ihnen sagen?« Sie stand langsam auf. »Ich werde es ihnen sagen.«
    Sie trat vor die Tür, strich sich die im Eiswind flatternden Haare aus dem Gesicht, holte tief Luft und schrie so laut sie konnte: »Ihr Menschen, hört mir zu! Die Liebe zum Leben ist eure Rettung! Liebe und Wahrhaftigkeit sind euer Schutz, nicht Fürsten und Waffen! Folgt keinem, der euch zu Mördern macht, der eure Seelen tötet, folgt nur eurem Herzen – dann vergibt euch Gott!«
    Ihre Rufe gingen im Lärm unter, keiner hörte ihr zu.
    Die beiden Männer standen in der Türöffnung, sahen, wie die reglos dastehende Assenheimerin von einem forteilenden Soldaten beinahe umgerannt wurde. Vergib mir, Gott, betete sie, denn auch ich bin doch nur meinem Herzen gefolgt.
    Als sie mit gesenktem Haupt wieder in die Hütte trat, bat Matthäus um ihr Buch. Sie zog es aus der Rocktasche und warf es ihm in den Schoß. Seine Lippen bewegten sich stumm, als er ihre Worte eintrug.
    Die Sonne war gerade aufgegangen, als die drei am nächsten Morgen aus der Hütte traten. In ihren Manteltaschen steckten die Reste des Kalbfleischs und sie hielten sich an den Händen, als sie den Hügel hinunter auf die Brücken zuliefen. Das Gedränge schien noch wilder geworden zu sein als am Tag zuvor, und vor den Augen der drei Gefährten brach mit einem Mal die stärkere Brücke ein. Menschen, Wagen und Pferde versanken in den Fluten.
    Die folgenden Fuhrwerke wendeten und steuerten die andere Brücke an, die zum Übergang der Fußgänger bestimmt war. Menschen und Wagen drängten sich auf dem engen Pfad, Räder brachen und verstopften den Weg. Wütend stürzten sich die Nachfolgenden auf die Verunglückten, rissen sie ohne Erbarmen zur Seite und wurden beim Versuch, die Trümmer aus dem Weg zu räumen, selber von anderen Fahrzeugen überrollt. Pferde und Menschen stürzten übereinander, fürchterliches Geschrei erscholl und selbst berittenen Gendarmen gelang es nicht, Ordnung zu schaffen.
    Entsetzt sah Juliane, wie Menschen von Rädern zerquetscht und von Pferden zertreten wurden, immer mehr Frauen und Kinder in die Fluten stürzten, und der Zug auf der Brücke nicht voranzukommen schien. Sie blickte zu ihren beiden Begleitern, aus deren Gesichtern jegliche Farbe gewichen war.
    »Warten wir bis zum Nachmittag!« hörte sie Johannes brüllen. »Schaut da, die Pioniere richten die andere Brücke wieder her, vielleicht haben wir Glück und können später da rübergehen.«
    Als die Brücke nach einigen Stunden wiederhergestellt worden war, zogen die drei, sich immer noch an den Händen haltend, in ihre Nähe, machten aber wieder kehrt, als ihnen klarwurde, daß in dem Gedränge immer noch die größte Gefahr bestand, erdrückt oder totgetreten zu werden.
    Aber Kanonendonner und Kleingewehrsalven hinter ihnen rückten immer näher und sie begriffen, daß das Armeekorps, das ihnen Rückendeckung geben sollte, zurückgewichen war und sie den Russen in die Hände fallen würden, wenn sie nicht schleunigst das andere Ufer erreichten, wo sich die dort gelandeten Truppen bereits mit den Russen Gefechte lieferten.
    Juliane wandte sich um, sah einen unübersehbaren Troß von französischen Soldaten die Anhöhen hinunterlaufen und schrie: »Wir müssen es jetzt versuchen, die wollen auch noch rüber.«
    Zertretene Leichname und gefallene Pferde, die sich in ihren

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