Die Marketenderin
Wochen nicht einmal zu träumen gewagt.«
Als Katharina von Zimmermann wenig später zu Tisch gebeten und Gerter mitgeteilt wurde, daß er mit den anderen Offizieren ein Stockwerk tiefer speisen sollte, nahm die Generalswitwe seinen Arm und erklärte, der junge Mann sei ihr Begleiter und werde mit ihnen tafeln. Seine Hoheit werde dafür Verständnis haben.
Donnerwetter, dachte Gerter, dem bei dieser Erklärung das Blut ins Gesicht gestiegen war, die Dame scheint Einfluß zu haben. Als er eintrat und vorgestellt wurde, entging ihm nicht das belustigte Lächeln, das um Eugen von Röders Lippen spielte.
Gerter wurde nicht neben die Generalswitwe gesetzt, die den Ehrenplatz neben dem Herzog einnahm, sondern weiter unten am Tisch, aber immer wenn er zu ihr hinschaute, begegnete er scheinbar zufällig ihrem Blick.
Beim Abschied reichte sie ihm huldvoll lächelnd die Hand und forderte ihn auf, sie einmal zu besuchen. Sie empfange dienstags um elf, sagte sie, ohne ihre Adresse zu nennen oder zu bedenken, daß er ein Gefangener war.
Auf dem Weg zurück ins Spital teilte der Generalmajor Gerter mit, der Herzog habe ihn sehr gnädig empfangen und versprochen, alles in seiner Macht Stehende für die Landeskinder seines Bruders zu tun. Er habe auf der Stelle veranlaßt, tausend Rubel zum Spital zu schicken, von denen jeder Offizier 25 erhalten würde, genug, um sich neu einzukleiden.
»Es war mir zwar peinlich, dem Herzog so gegenüberzutreten, aber wahrscheinlich hat ihn mein Aufzug davon überzeugt, daß wir dringend Hilfe benötigen«, meinte von Röder. Sicherlich hat sein angegriffenes Äußeres auch sein Teil dazu beigetragen, dachte Gerter. Sorgenvoll betrachtete er die eingefallenen Wangen seines Vorgesetzten, während sie einem nahenden Wagen auswichen. Entsetzt blickten die beiden Offiziere auf den Inhalt des erbeuteten französischen Gepäckwagens. Darin standen dicht nebeneinander gepackt ungefähr zwanzig oder dreißig Tote mit gräßlich verzerrten Gesichtern und klaffenden Wunden. Auf dem mit dem französischen Adler verzierten Wagen las Gerter: ›Equipage de S. M. Empereur et Roi‹.
»Sic transit gloria mundi«, bemerkte von Röder grimmig und wechselte dann unvermittelt das Thema. »Übrigens möchte ich dich zur Vorsicht anhalten, junger Mann.«
Als Gerter ihn fragend ansah, klopfte er ihm auf die Schultern, lachte kurz und meinte: »Die schöne Frau Generalin scheint dir recht gewogen zu sein, aber es ist gefährlich, sich mit einflußreichen Frauen einzulassen.«
»Wir haben uns doch nur ein wenig unterhalten«, erwiderte Gerter leicht verärgert.
Was erwartete der Generalmajor von ihm? Daß er nach Monaten der Entbehrungen einer so entzückenden Person die kalte Schulter zeigte? Es mochte sein, daß sie einflußreich war, aber sie war auch eine Frau, und mit Frauen wußte er umzugehen.
»Ich kenne deinen Ruf«, sagte Eugen von Röder nur.
Mein Ruf, dachte Johannes, der ist mir selber schon entfallen! Wie lange ist es her, daß ich mich mit einer Frau vergnügt habe, ich weiß nicht einmal mehr genau, wie sie hieß, Berta? Nein, Barbara.
Die Erinnerung traf ihn wie ein Schlag und er blieb mitten auf der Straße stehen. Er sah den schmutzig-dunklen Boden der Steinhütte vor sich, spürte wieder die starken Arme, die ihn umschlangen, die Fingernägel, die sich in seinen Rücken gruben, erinnerte sich wieder an den Blick aus den nachtschwarzen Augen. Juliane. Das war etwas ganz anderes gewesen.
»Geht es dir nicht gut?« fragte Eugen besorgt.
Als fünf Tage später Zar Alexander persönlich in Wilna auftauchte, änderte sich augenblicklich die schlechte Lage der Gefangenen. Er verfügte, daß alle Kranken in den Spitälern so behandelt und gepflegt werden sollten, als seien sie Untertanen des Zaren und er stellte Mittel aus den öffentlichen Kassen in Aussicht: Vom 1. Januar 1813 an sollten Stabsoffiziere täglich 20 Pietaks, was 36 Kronen entsprach, Subalternoffiziere zehn und Unteroffiziere und Soldaten drei Pietaks erhalten. Offiziere, die nicht an das Krankenlager gefesselt waren, erhielten die Erlaubnis, unter Begleitung der Sauve-Garde an die frische Luft zu gehen.
Eugen von Röder konnte davon keinen Gebrauch machen, denn nach seinem Besuch beim russischen General warf ihn die Ruhr aufs Krankenlager und er begann bald wieder stark zu fiebern. Felix und Johannes hielten ungeachtet der Ansteckungsgefahr abwechselnd Krankenwache. Doch trotz der guten Pflege, die sie dem Generalmajor
Weitere Kostenlose Bücher