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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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vertrieb sich die Zeit damit, Stücke aus dem Bändchen ›Demetrius‹ zu lesen, das er während des ganzen Marsches bei sich getragen und inzwischen fast auswendig gelernt hatte.
    Er machte es sich auf einem der hohen Stühle so bequem, wie es einem Menschen, der monatelang beinahe ausschließlich gehockt und gekauert hatte, möglich war.
    Als die Tür aufging und eine elegant gekleidete Dame eintrat, wäre er beinahe gestürzt, so hastig sprang er von seinem Sitz. Sie sagte etwas auf Russisch zu ihm und als er bedauernd lächelte, meinte sie mit zauberhaft rollendem R: »Verzeihen Sie mir, Herr Offizier, ich habe nicht sofort gesehen, daß Sie Deutscher sind. Aus welchem Land, bitte schön?«
    »Aus Württemberg, gnädige Frau«, erwiderte er und wollte ihr die Tür zum Nebenzimmer öffnen, aber sie schüttelte den Kopf, setzte sich auf einen Stuhl und musterte ihn aus klugen und leicht schrägen olivfarbenen Augen.
    »Württemberg … wo der Wein so schön blüht«, strahlte sie und Gerter unterdrückte ein Lächeln. »Und jetzt wollen Sie den Bruder Ihres Königs fragen, ob er Sie zurückschickt?«
    »Wenn es so einfach wäre«, entfuhr es Johannes.
    Sie sagte eine Weile gar nichts, und Johannes mußte sich zwingen, sie nicht mit den Augen zu verschlingen. Seit Monaten, vielleicht sogar seit einem Jahr, hatte er nicht mehr eine so anziehende Erscheinung gesehen.
    Er schämte sich plötzlich seiner inzwischen zwar gewaschenen und notdürftig geflickten, aber immer noch überaus schäbigen Uniform und tröstete sich nur ein wenig damit, daß der Generalmajor auch nicht gepflegter aussah.
    »Es wäre besser gewesen, wenn Sie gar nicht erst in dieses Land gekommen wären«, sagte sie freundlich, ohne den geringsten vorwurfsvollen Unterton.
    »Leider lag es nicht an mir«, antwortete er und dachte eine Sekunde lang an Juliane, die zu der Erkenntnis gekommen war, daß es keinen Krieg geben würde, wenn die Soldaten einfach nicht mitmachten.
    Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich und der Adjutant des Generals Herzog Alexander sah ins Zimmer.
    »Einen schönen guten Tag, Frau Generalin«, begrüßte er die Dame auf deutsch und informierte sie, daß sich zum Bedauern des Herzogs seine Besprechung hinzöge und das Abendessen eine Viertelstunde später als vorgesehen stattfinden werde. Er habe aber den Auftrag sie in den Salon zu geleiten, wo ihr Erfrischungen gereicht werden würden.
    Einen Moment lang packte Johannes unbändige Wut. Nur wenige Meter weiter lagen Offiziere und Soldaten auf dem nackten Boden des Spitals und erhielten gerade mal so viel Nahrung, daß sie nicht starben, aber auch nicht gesunden konnten, und hier wurden Erfrischungen gereicht!
    Wir sind Gefangene, rief er sich dann wieder zur Ordnung, mit ziemlicher Sicherheit die Verlierer dieses Krieges und ich sollte es als besondere Gnade ansehen, daß mir heute so ein wunderschöner Anblick gewährt wird.
    Er hörte die Dame das Angebot ablehnen.
    »Lassen Sie die Erfrischungen hierher bringen«, schlug sie vor, »es ist amüsanter, sich während des Wartens zu unterhalten.«
    Unvermittelt wanderte ihr Blick zu dem Büchlein, das Johannes auf den Stuhl neben sich gelegt hatte.
    »Oder störe ich Sie beim Lesen?« wollte sie wissen.
    »Nein, nein, ich kenne das Buch schon auswendig«, erklärte er hastig.
    »Darf ich fragen, von wem es ist?«
    »Von Schiller«, antwortete er und steckte das Bändchen wieder in die Tasche, »das ist ein großer deutscher Dichter.«
    Sie sah versonnen aus dem Fenster.
    »Mein Mann mochte Schiller auch.«
    Als der Adjutant mit einer Karaffe und zwei Gläsern Wein ins Zimmer trat, stellte er Gerter der jungen Frau vor und informierte ihn, daß Madame die Witwe des Generalquartiermeisters von Zimmermann im russischen Generalstab sei.
    »Mein Mann war gebürtiger Hannoveraner«, sagte sie, als der Adjutant das Zimmer verlassen hatte. »Aus dem letzten Türkenkrieg ist er nicht mehr heimgekommen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Sie tun mir auch leid«, sagte sie nachdenklich. »Was wird aus Ihnen?«
    Bisher hatte Johannes vermieden, darüber nachzudenken und er wollte damit jetzt auch nicht anfangen.
    »Das liegt in Gottes Hand«, erwiderte er. »Im Augenblick ist mein Generalmajor beim Bruder unseres Königs, um ein paar Erleichterungen für die Gefangenen, speziell für die Württemberger im Spital zu erbitten. Von so einem Wein …«, er nahm einen Schluck, schloß kurz die Augen und fuhr dann fort: »… haben wir seit

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