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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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hätte geboren werden können, das Enkelkind Eugen von Röders, ein seltsamer Gedanke. Ob Juliane Matthäus ihre Abstammung verraten hatte? Er zweifelte daran, denn er erinnerte sich, daß sie einmal völlig unbefangen erzählt hatte, ihr Vater wäre vor ihrer Geburt gestorben, und daß Matthäus bedauert hatte, ihn nie kennengelernt zu haben.
    Er wußte immer noch nicht, was aus ihm werden würde, aber er hegte die größten Befürchtungen, denn die Russen hatten begonnen, sich ihrer Gefangenen in Wilna durch Transporte ins Innere des Landes zu entledigen. Zunächst wurden wöchentlich zwei Gruppen mit jeweils 200 ausschließlich französischen Offizieren und Soldaten losgeschickt und Gerter hoffte, daß man den Rheinbund-Truppen dieses Schicksal ersparen würde.
    Doch nach der von Napoleon verlorenen Schlacht von Bautzen, bei der Zar Alexander selbst den Oberbefehl führte, erhielt der Gouverneur aus dem zaristischen Hauptquartier in Deutschland den Befehl, auch die deutschen Gefangenen schleunigst ins Innere Rußlands zu verfrachten. Nur bei Kranken und Verwundeten wurde eine Ausnahme gemacht.
    Allerdings hatten die Deutschen eine Wahl: Sie konnten auch ins russische Lager überwechseln und mit viel Erfolg wurde die Anwerbung für eine deutsch-russische Legion betrieben.
    Katharina versuchte, Gerter ebenfalls zu überreden: »Fast alle westfälischen Offiziere sind schon eingegliedert …«
    »Übergelaufen«, schnaubte Gerter.
    »Nenn es, wie du willst. Aber du mußt zugeben, daß es durchaus ehrenvoll ist, in russische Dienste zu treten und erheblich angenehmer als mit Läusen im Pelz über die Landstraße nach Sibirien geschickt zu werden«, meinte sie.
    Johannes bemerkte, daß es doch auch noch eine dritte Möglichkeit geben müsse, und Katharina gestand ihm, daß sie diese für den Fall seiner Weigerung bereits bedacht hätte.
    »Ich nehme dich mit in mein Haus nach Moskau«, erklärte sie.
    »Als dein persönlicher Gefangener?« fragte er ungläubig.
    Sie lachte.
    »Ist alles schon geregelt, du kannst sogar deinen Diener mitnehmen. Aber wir müssen schleunigst abreisen, denn morgen ergeht die Weisung an alle Gefangenen, sich ins Kloster St. Basilius zu begeben – das ist der Sammelplatz für die Transporte.«
    »Du bist eine Zauberin«, murmelte er, sein Glück kaum fassend. »Wer ließe sich nicht gern von einer so schönen und klugen Frau fesseln!«
    Sie brachen noch am Abend auf.
    Bei der Ankunft in Moskau wartete eine große Überraschung auf Gerter: Katharina ließ die Kutsche vor dem Palast halten, in dem er während der Besetzung Moskaus gewohnt hatte.
    »Gott sei Dank, es steht noch!« seufzte sie erleichtert, wandte sich an Gerter und fragte: »Wie gefällt dir meine Hütte?«
    Sie legte seine Sprachlosigkeit falsch aus: »Von außen sieht alles imposanter aus als es ist, du wirst schon sehen, wenn du reinkommst.«
    Der Kutscher war inzwischen ins Gartenhaus gelaufen, um Marja und Pjotr zu informieren. Gerter griff sich in die Uniformtasche.
    »Ich möchte dir etwas zurückgeben, was ich aus diesem Haus entwendet habe«, sagte er und reichte ihr den ›Demetrius‹.
    Jetzt war sie sprachlos.
    Juliane lernte relativ schnell, sich der neuen Situation anzupassen. Wie Matka ihr geraten hatte, spielte sie die Stumme, wenn sie mit ihrem Stock in Schutthaufen nach Brauchbarem wühlte, und abgesehen von Kindern, die manchmal Steine nach ihr warfen oder ihr etwas sicher nicht besonders Freundliches zubrüllten, wurde sie von anderen Menschen in Ruhe gelassen. Anfangs hatte sie sich vor der Arbeit geekelt, vor dem Schmutz und dem Gestank, der aus den Schutthaufen stieg und von toten Tieren oder Essensresten stammte.
    Aber eines Tages entdeckte sie einen silbernen Teller zwischen faulenden Decken. Sie ließ ihn schnell in ihrem Lumpensack verschwinden und sah von diesem Tag an die Arbeit mit anderen Augen an. Sie begann sich als Schatzsucherin zu sehen und von da an fand sie zwischen Müll und Unrat tatsächlich öfter wertvolle Gegenstände.
    Aber nicht nur deswegen entwickelte sie einen gewissen Stolz auf ihren neuen Beruf. Er kam ihr allmählich viel nützlicher vor als ihr alter, denn sie lernte, Respekt zu haben vor der Arbeit anderer. Wenn sie ein geschnitztes Tischbein sah, das einmal von einem Menschen mit Mühe hergestellt, und nun von anderen achtlos weggeworfen worden war, freute sie sich, ihm wieder eine Bestimmung geben zu können. Sie sorgte dafür, daß mit Gottes Gaben sparsamer umgegangen

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