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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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mühsam konnte sich die Vorhut in dem immer dichteren Schneetreiben den Weg bergauf durch den Wald bahnen, meterhohe Schneewehen versperrten den Soldaten den Weg und der Wind, zum Sturm angewachsen, schnitt wie mit Messern in ihre Gesichter, nahm ihnen Sicht und Atem. Die Pferde, die Wagen und Kanonen zogen, steckten oft bis an die Brust im Schnee, die Reiterei mußte absitzen und manches Tier mit Gewalt zwingen weiterzugehen. Der Eiswind drang durch jedes Kleidungsstück und machte die Beine gefühllos. Auch ohne Schnee wäre der Marsch über das rauhe, steile Gelände beschwerlich gewesen, aber jetzt kam noch die Gefahr des Ausgleitens, des Versinkens in Schneeverwehungen hinzu.
    Matthäus Schreiber lobte im stillen Julianes Voraussicht und tat ihr gleichzeitig Abbitte. Wie hatte er sich gewehrt, als sie ihm den dicken Damenpelzmantel aufdrängte, den sie in Öhringen im Tausch gegen eine kleine Gänseherde erworben hatte.
    »Wie sieht das denn aus, ein Korporal mit einem Weiberrock!« hatte er entrüstet erklärt.
    »Wenn du ihn nicht tragen willst, kannst du ihn unterwegs immer noch verkaufen«, hatte sie entgegnet. »Aber ich habe gehört, daß in Polen und Rußland noch im Mai Schnee liegen kann.«
    Es war März und sie waren erst in Thüringen.
    »Herr Korporal?« Mössners Stimme übertönte das Heulen des Sturms. »Wir haben einen Kameraden verloren! Er ist gestürzt und steht nicht mehr auf!«
    Matthäus machte kehrt, kämpfte sich durch den Schnee zurück. Der Soldat war erst wenige Minuten zuvor zusammengebrochen, vom Schnee aber schon beinahe bedeckt. Er lebte noch, atmete schwer und hustete rasselnd. Matthäus hielt einen Wagen an, zog sich den Pelzmantel aus und wickelte den jungen Mann darin ein.
    Ein paar Soldaten hoben ihn auf den Wagen und Matthäus betete, der Junge möge bis zum nächsten Dorf überleben. Sein Gebet wurde nicht erhört, schon eine Stunde später zog sich Matthäus den Mantel wieder über die frierenden Glieder. In dem hart gefrorenen Boden konnte man unmöglich ein Grab ausheben, und so mußte die Truppe mit dem toten Kameraden weiterziehen. Niemand fegte mehr den Schnee von der Leiche, die steif gefroren auf dem Wagen lag und von manch bangem Blick getroffen wurde.
    Mössner humpelte, denn er hatte sich einen Knöchel verstaucht, als er über eine vom Schnee bedeckte Wurzel gestolpert war, aber er ertrug die Schmerzen mit zusammengebissenen Zähnen.
    Endlich erreichte die lange Kette der Marschierenden die halb im Schnee begrabene Ortschaft Neustadt am Rennsteig auf dem Kamm des Gebirges. Hier sollte einige Stunden Rast gemacht werden. Aber die Soldaten waren zu ermattet, um zu jubeln. Mit letzten Kräften bewegten sie sich auf das Dorf zu, fanden aber nichts Wärmendes mehr zu essen: Die Kolonnen vor ihnen hatten sich an den Vorräten schon gütlich getan.
    Aber Holz stellten ihnen die Bewohner zur Verfügung, Abfälle von ihren Schnitzereien, und so mußten sich die hungrigen Soldaten gedulden, bis sie selber oder die Marketenderinnen das Essen bereitet hatten.
    Juliane schraubte sofort den Preis für alles hoch und machte gute Geschäfte. Es gelang ihr auch, das inzwischen eingenommene Kleingeld beim Bürgermeister in Goldstücke umzutauschen. Sie freute sich, daß es im Bauch der Goldpuppe bereits munter klimperte und sah der nächsten Zeit frohgemut entgegen. Ihre Mutter hatte recht gehabt, Feldzüge waren Gold … Auf dem nahegelegenen Kirchhof wurde der tote Soldat beerdigt, Matthäus sprach ein paar Worte über dem Grab und wußte, daß sich jeder die Frage stellte, wer denn wohl der nächste sein würde. Nur mäßig gestärkt machten sich die Soldaten nach drei Stunden wieder auf den Weg. Die Nacht war schon angebrochen, als das Quartier im Städtchen Königssee aufgeschlagen wurde, wo Matthäus eine Mitteilung an die Eltern des jungen Soldaten verfaßte und Anweisung gab, das Schreiben der nächsten Feldpost mitzugeben.
    Zwei Soldaten waren zu krank, um weiterzumarschieren. Matthäus brachte sie gegen ein ordentliches Entgelt bei einer Witwe im Dorf unter, wies die Soldaten an, nach ihrer Genesung sofort die Reise nach Frankfurt an der Oder anzutreten und sich dort wieder bei ihm zu melden. Mössner, der sich nicht traute, seine Stiefel auszuziehen, weil er sicher war, dann nicht mehr hineinzupassen, rieb seinen Knöchel und dachte einen Augenblick daran, ebenfalls zurückzubleiben.
    Er hatte inzwischen gehört, daß hunderttausende von Menschen, man munkelte sogar

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