Die Marketenderin
Schütze, die Artillerie hat ihn mit Freuden aufgenommen.«
»Ein dummer Bengel!« explodierte Juliane und ihr Mann konnte sie nicht davon abhalten, Gerter die Geschichte mit Clärle zu erzählen. »Erst verführt er das Mädele, dann läßt er es sitzen! Der sollte mal einen Tag lang richtig arbeiten, anstatt seine künftigen Orden zu zählen. Das Militär macht ihn hochmütig«, schloß sie.
Matthäus widersprach. »Er lernt eifrig. Er hat das neue Buch über die ›Pflichten, Rechte und Verrichtungen des gemeinen Soldaten‹ schon fast auswendig gelernt …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Juliane. »Seinen Lieblingssatz hat er mir schon viermal vorgebetet: ›Der Soldat muß zu jedem Dienst bereit und willig sein, wenn er auch gleich die Ursachen davon und die Wichtigkeit desselben öfters nicht einzusehen vermag.‹«
»Ich habe bloß ein Amt und keine Meinung«, zitierte Gerter.
»Exactement«, bestätigte Matthäus.
Wie immer, wenn er in ihrer Gegenwart Französisch sprach, warf ihm seine Frau einen vernichtenden Blick zu. Ein paar Begegnungen mit französischen Soldaten hatten sie davon überzeugt, daß es sich nicht lohnte, für ein Land zu kämpfen, dessen Bewohner sich allen anderen gegenüber so überlegen fühlten und jeden dies merken ließen. Sollten sie dann doch ihren Krieg allein führen, hatte sie einem sehr hoffärtig auftretenden Deutsch sprechenden französischen Unteroffizier erklärt und sich geweigert, auf das Wohl des Kaisers zu trinken. »Die Assenheimerin trinkt nie etwas«, hatte ein Soldat namens Ohnesorg schnell die Lage entschärft und »Vive l'Empereur!« gerufen. Julianes »Wie verplempert!« hatte der Franzose glücklicherweise nicht verstanden.
»Dieser Feldzug steht unter einem schlechten Stern.« Sie wußte nicht, warum sie das sagte, und sie kratzte sich heftig am linken Ellenbogen.
»Haselbärle, sag so was nicht!«
Erregt stand Matthäus auf und begann auf und ab zu gehen. »Alles wird gutgehen. Napoleon hat bisher alle entscheidenden Feldzüge gewonnen!«
»Und ganz davon abgesehen«, fügte Gerter hinzu, »spricht Napoleons Lebensgeschichte für ihn. Er war ein unbedeutender junger Mann aus Korsika, also kein echter Franzose, liebe Assenheimerin, und wurde der Kaiser des Abendlandes. Er bestimmt über alles, sogar über die ältesten Herrscherhäuser. Erst haben die Verhältnisse ihn gemacht, jetzt macht er die Verhältnisse. Er stürzt und krönt Könige, und hat dabei als kleiner Leutnant angefangen. So wie ich«, setzte er hinzu.
»Als Korporal kommt man nicht so weit«, meinte Matthäus sachlich.
»Und wer's zum Korporal erst gebracht, der steht auf der Leiter zur höchsten Macht«, trug Gerter vor.
»Wieder Ihr Schiller?« lachte Matthäus.
Gerter nickte.
»Man kann diesem Mann den Respekt nicht versagen.«
Wobei unklar blieb, ob er Schiller oder Napoleon meinte. Juliane, der belesene Leute ein Greuel waren, »weil sie ihre Zeit mit Buchstaben vergeuden und aus zweiter Hand leben«, wischte Schiller mit einer verächtlichen Handbewegung zur Seite. Warum mußten Männer immer so wichtig tun?
»Ich fürchte nur, meine Herren, daß Napoleon diesmal das Maß verloren hat«, meldete sich plötzlich Felix und Juliane staunte wieder einmal, daß Gerter seinem Diener solch eine Einmischung gestattete. »Und glauben Sie mir, der Tod von Tausenden wird ihn gleichgültig lassen, ihn nur dazu bringen, sofort eine neue Armee aufzustellen.«
»Wenn das stimmt und er lange genug damit weitermacht, kann ich mich nach einem neuen Beruf umsehen«, bemerkte Juliane, die es höchst unbehaglich fand, daß Felix Krieg mit Tod in Verbindung brachte.
»Anders als sonst in Menschenköpfen malt sich in diesem Kopf die Welt, sagt Schiller«, sprach Gerter.
»Den kenn ich nicht und will ich auch gar nicht kennen, wenn er diesen Korsiker verteidigt.«
»Korsen«, verbesserte Gerter. »Menschen aus Korsika heißen Korsen.«
Als sie auffahren wollte, fügte er hinzu: »Schiller hat auch gesagt: ›Große Seelen dulden still.‹ Also, Assenheimerin, sei eine große Seele.«
»Das Dulden ist meine Sache nicht. Ich muß handeln. Und jetzt setz dich endlich hin, Matthäus. Man wird ja ganz nervös bei deiner Herumlauferei.«
Matthäus trat auf seine Frau zu und strich ihr sanft über das Haar. »Der schönste Hinterkopf der Welt«, sagte er zu Gerter. »Wenn es bloß da drin nicht dauernd rumoren würde. Warum kann meine Frau nicht wie andere Frauen sein, zuhören, wenn die
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