Die Marketenderin
Holzbrücke direkt vor Mössner unter ihrer Last zusammen und riß eine Kanone, vier Pferde und eine Reihe von Soldaten in die Tiefe. Mössner, der selber schlecht schwimmen konnte, besann sich nicht lange, sprang ins Wasser und rettete einen Kameraden. Zusammen mit anderen gelang es ihm, auch die Kanone wieder an Land zu ziehen.
Als er für seine Tat ausgezeichnet und befördert wurde, erwähnte man auch lobend, daß er trotz des großen Durcheinanders noch Zeit gefunden habe, mit einem Schuß ein leidendes Pferd zu erlösen. Daß das Pferd bereits tot gewesen war, hatte niemand außer Mössner bemerkt. Aber daß Gerter einen richtigen Menschen ins Jenseits befördert haben sollte, fand Mössner erheblich heldenhafter.
Er überwand seine Abneigung gegen die Assenheimerin und tauchte am Abend in ihrem Zelt auf, um Näheres zu erfahren. »Schau an, der verlorene Sohn!« begrüßte sie ihn. »Du bist jetzt ein Held, wie ich höre.«
»Ach, das war doch nichts«, erklärte er sichtlich stolz und blickte auf seinen blankpolierten Orden. Juliane stellte einen Krug Bier vor ihn und fragte, ob er Clärle schon geschrieben habe.
»Was gibt's denn schon zu berichten«, rief er unmutig. »Immer nur laufen, laufen …«
»Aber jetzt hast du ihr doch eine schöne Geschichte zu erzählen. Vor allem die mit dem Pferd.«
Er sah sie mißtrauisch an, verdächtigte sie, daß sie ihn durchschaute. Woher weiß sie das?, fragte er sich. Sie war doch gar nicht dabeigewesen. Außerdem müßte sie doch gemerkt haben, daß er nichts mehr mit Clärle zu schaffen hatte!
»Du hast von Gerter gehört.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Sicher, sicher«, lachte Juliane. »Ein raffinierter Hund.«
»Ein Held!« rief Mössner.
Sie setzte sich zu ihm an den Tisch, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierkrug, stützte die Ellenbogen auf, sah Mössner geradewegs in die Augen und fragte: »Du glaubst also wirklich, daß er den armen Wachmann erschossen hat und daß das eine Heldentat wäre?«
Sie streichelte Mössners Hand und berührte seine Auszeichnung. »Hast noch viel zu lernen, Kleiner.«
Wütend lief er aus dem Zelt.
Kopfschüttelnd blickte sie ihm hinterher und ärgerte sich über sich selber, daß sie wieder zu ungeduldig mit ihm gewesen war. Sie fühlte sich noch immer für ihn verantwortlich. Unter der Uniformjacke schlägt ein gutes Herz, dachte sie, aber leider ist das Tuch zu dick.
»So ein Soldat wie dieser junge Mann willst du also werden?« fragte sie den zwölfjährigen Jungen, der neben Böhnchen auf dem Boden saß.
Er nickte.
»Ein schöner Orden«, sagte er andächtig.
Juliane setzte sich neben den Jungen und freute sich, daß er sich ohne weiteres in die Arme nehmen ließ.
»Ach, Jakob«, seufzte sie.
Sie hatte ihn in der Nacht zuvor in ihrem Planwagen entdeckt. Böhnchen hatte unablässig gemeckert und so war sie aufgestanden und mit einer Laterne zu dem Wagen gegangen, an den sie die Ziege gebunden hatte. Auf den Hafersäcken lag der Junge und bedrohte sie mit einem Küchenmesser, das ihm so in der Hand zitterte, daß sie es ihm mühelos abnehmen konnte. Dann fing der Junge an zu weinen.
»Wer bist denn du?« fragte Juliane und setzte sich neben ihn.
»Ja … kkk … ob«, stotterte der Junge. Nach und nach erfuhr sie, daß er von zu Hause weggelaufen war, weil er unbedingt Trommler bei der Armee werden wollte – wie sein zwei Jahre älterer Freund – und daß er sich schon zwei Tage in ihrem Wagen versteckt gehalten hatte.
»Also keine Mäuse«, meinte Juliane, die am Abend zuvor Matthäus versichert hatte, daß es Wandermäuse geben müsse, anders könne sie sich nicht erklären, daß einige ihrer Vorräte angefressen seien.
Jakob wollte ihr nicht sagen, wie er mit Nachnamen heiße und aus welchem Dorf er stamme.
»Wenn du mich wegschickst, verstecke ich mich woanders. Ich bleibe bei der Armee.«
»Aber selbst für einen Trommler bist du noch zu klein«, wandte Juliane ein.
»Ich werde wachsen!«
Sie beriet sich mit Matthäus, der darauf drängte, den Jungen wegzuschicken.
»Aber wohin denn?«
»Die Eltern werden sich Sorgen machen«, erklärte Matthäus.
»Die machen sich nur Sorgen um meinen älteren Bruder. Der ist bei der Armee«, rief der Junge.
Matthäus und Juliane sahen einander an.
»Deine Verantwortung. Ich kann mich darum jetzt nicht kümmern«, erklärte Matthäus.
Jakob durfte bleiben.
Und darüber war Juliane aus mehr als einem Grund froh. Nach dem
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