Die Marketenderin
verkaufen«, antwortete der Junge.
Der Korporal hob die buschigen Augenbrauen.
»Daß sie sich da nur nicht verhexen läßt«, lachte er.
»Ich habe Angst vor ihr«, flüsterte Jakob.
»Vor wem? Vor meiner Assenheimerin?«
»Nein! Vor der alten Selma!«
»Da bist du nicht der einzige, mein Junge.«
Beinahe zärtlich verwuschelte der Korporal Jakob das langgewordene Haar. Kann es sein, daß der Junge in dieser kurzen Zeit gewachsen ist, fragte er sich. Er sieht älter aus, auch sein Gesicht hat das Kindliche verloren, es sieht verschlossen, verbittert aus. Wie kann ein Kind nur so kalte Augen haben? Es müssen die Strapazen des Marsches sein, das schlechte Essen. Wir hätten ihn nie mitnehmen dürfen. Er wäre schon irgendwie wieder nach Hause gekommen.
Matthäus Schreiber war froh, daß die alte Selma nicht weiter mitzog, und zwar nicht deswegen, weil die Assenheimerin dann eine Konkurrentin weniger hätte.
Die Greisin war eher Wahrsagerin als Marketenderin und verdiente damit auch erheblich mehr. Aber mit ihren Tarotkarten, dem Kaffeesatz, dem Handlesen und dem Sternegucken brachte sie nur Unruhe in die Reihen, vor allem da sie seit Beginn des Feldzugs nur Fürchterliches geweissagt und tatsächlich einige Soldaten zum Desertieren gebracht hatte.
»Sie untergräbt die Moral«, beklagte sich Matthäus bei Gerter, als sie sich im Zelt niedersetzten. Er fragte, wie man der alten Hexe das Handwerk legen könnte.
»Da bin ich machtlos«, erklärte Gerter und berichtete, daß er der Wahrsagerin bereits zu Beginn des Feldzugs Geld angeboten habe, damit sie den Männern eine freundlichere Zukunft prophezeie, aber die alte Selma habe bockig erklärt, daß sie an der Zukunft nichts ändern könne und nur sage, was sie sehe. »Übrigens hielt sich mein Neffe Georg bei der alten Selma auf. Er hat mich korrekt begrüßt und mir berichtet, daß er befördert worden ist. Stell dir vor, er hofft, es zum Offizier zu bringen!«
»Soso«, brummte Schreiber.
Gerter erzählte ihm nicht, daß er Mössner auch gefragt hatte, warum er nicht bei der Assenheimerin einkaufe.
»Mit dem Weib habe ich nichts mehr zu schaffen«, hatte ihm Mössner geantwortet.
Während die ersten Truppen der Großen Armee nach Verlesung der Kriegserklärung in breiten Strömen über die Sandebenen den drei fertigen Brücken zustrebten und auch Napoleon mit seinem Gefolge über die mittlere Brücke zog, saß Juliane im Zelt der alten Selma. Das 3. Armeekorps hatte den Befehl erhalten, erst am folgenden Tag den Niemen zu überschreiten und so blieb der Truppe noch eine kleine Atempause.
Die beiden Frauen hatten in der Vergangenheit nur wenig miteinander gesprochen. Juliane, die sonst weder Autoritäten noch Menschen im allgemeinen fürchtete, empfand eine ihr selbst unerklärliche Scheu vor der alten Selma. Das konnte daran liegen, daß ihre Mutter sie eindringlich vor der Kollegin gewarnt hatte. Sie hatte behauptet, die alte Marketenderin könne wirklich in die Zukunft blicken, eine Gabe, die sie bei einem Handel mit dem Teufel herausgeschlagen habe.
»Halt dich von ihr fern, Kind. Gott hat uns die Erinnerung gegeben, wenn er gewollt hätte, daß wir die Zukunft kennen, hätte er uns auch dafür ein Mittel gegeben.«
Als sie an jenem Nachmittag der Aufforderung der alten Selma gefolgt war, sich ihre Ware anzusehen, hatte sie mehr geleitet als der Gedanke etwas günstig zu erstehen. Sie war daher auch nicht sonderlich überrascht, als ihr die alte Selma unverblümt erklärte, daß sie wohl kaum etwas von ihren Dingen brauchen werde.
»Essen, Trinken und Schuhe, das ist alles, was ihr nötig haben werdet, und das habe ich genauso wenig wie du«, hatte ihr die alte Marketenderin erklärt. »Es sei denn, du willst noch ein paar Kupferpfannen, anderes Kochgeschirr oder Talismane.«
Juliane setzte sich rittlings auf einen wackligen Stuhl und schüttelte den Kopf.
»Du könntest mir beibringen, wie man in die Zukunft sieht«, schlug sie vor.
»Das, mein Kind, ist kein Handwerk«, flüsterte die alte Selma. »Es ist ein Fluch.«
»Den du gewinnbringend anwendest.«
Juliane hatte ihre Scheu verloren; sie sah in der alten Marketenderin nur noch eine müde Greisin, die offensichtlich Rückenschmerzen hatte und wegen ihrer Zahnlücken schwer zu verstehen war.
Schweigend reichte ihr die alte Frau einen Becher mit dampfendem Gebräu.
»Kannst ruhig trinken, nur ein paar Kräuter, die dich stärken werden. Ich habe gehört, daß du zwei Männern auf dem
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