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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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unermeßliche Wälder und wüste Sandsteppen erstreckten. Am anderen Ufer war keine Menschenseele zu sehen.
    »Das ist Rußland«, sagte Matthäus. »Noch vor einer Stunde standen dort die Soldaten des Zaren zu Tausenden. Niemand weiß, wohin sie verschwunden sind.«
    Böse Vorahnungen schnürten Juliane die Kehle zu. Welch eine Weite, welch eine Leere, dachte sie, so habe ich mir ein Land vorgestellt, das Geister und Dämonen beherrschen.
    »Na, was sagst du jetzt dazu?« fragte Matthäus.
    Sie flüchtete in die kleine Welt, in der sie die Übersicht behielt: »Ich muß ganz schnell einen Arzt für Bleichle finden«, sagte sie.
    Während sie einen Arzt aufzutreiben versuchte, saß Jakob bei dem Verletzten, wischte ihm den Schweiß von der Stirn und flößte ihm von der Flüssigkeit ein, die Juliane aus Kräutern gebraut hatte.
    Ohnesorg, der andere Rekrut, den die Marketenderin vom Wegesrand im brennenden Wald aufgelesen hatte, fühlte sich durch Wasser, Branntwein und Zwieback wieder einigermaßen gestärkt.
    Er stand auf, streckte sich, holte ein Pfeifchen aus der Brusttasche und klopfte damit auf den Handrücken. »Ich will mal nachsehen, ob noch jemand Tabak hat«, erklärte er. »Willst du auch rauchen, Hundeherz?«
    Jakob blickte auf.
    »Wieso nennst du ihn Hundeherz?« erkundigte er sich neugierig.
    »Weil …« Ohnesorg brach ab, als seine Augen denen Jakobs begegneten. Dunkel erinnerte er sich, daß bei dem Vorfall mit dem Hund auch ein kleiner Junge zugegen gewesen war. Er eilte aus dem Zelt, ohne auf Bleichles Antwort zu warten.
    »Weil ich feige wie ein Hund bin«, brach es aus Bleichle hervor.
    »Hunde sind nicht feige!« empörte sich Jakob. »Hunde sind das Allerbeste. Und Hundeherz ist ein schöner Name!«
    Er griff wieder nach dem Tuch, um Bleichles Gesicht abzuwischen.
    »Laß mal, das kann ich jetzt selber«, murmelte Bleichle und zog eine Hand unter der Decke hervor, um dem Jungen das Tuch abzunehmen. Das Gesicht hatte Jakob nicht wieder erkannt und der Junge hätte auch nicht sagen können, weshalb die Hand den Hündchenmörder verriet. Aber er hätte unter tausenden die Hand erkannt, die Potzblitz gepackt und zu Boden geschleudert hatte. Jakobs Herzschlag setzte einen Augenblick lang aus. Sein Gesicht, das dem Bleichles ganz nah war, schien reglos, aber der Soldat las Entsetzen in den Augen des Kindes. Er fühlte sich wie jemand, der vor einem Erschießungskommando steht. Sein Blick wich Jakobs Augen nicht aus.
    Ja, ich bin es, ich habe dein Hündchen getötet und aufgefressen und deshalb nennen sie mich Hundeherz, sagten seine Augen. Ich bin jetzt in deiner Gewalt, du kannst mir ein Kissen auf den Kopf drücken, los, tu's und räche dein Hündchen – und befreie mich von diesen entsetzlichen Schmerzen.
    Jakob griff nach dem Kissen, aber er drückte es sich selber an die Brust, und ohne den Blick von Bleichle zu lassen, bewegte er sich langsam rückwärts aus dem Zelt.
    Juliane fand ihn wenig später auf dem Bock des Planwagens. Er hatte das Kissen auf den Schoß gelegt, sich darübergebeugt und weinte jämmerlich.
    Sie berührte ihn sanft an einer zuckenden Schulter.
    »Ist was mit Bleichle?« fragte sie besorgt.
    Aus roten Augen traf sie ein verlorener Blick. »Warum sind die Menschen so?« schluchzte der Junge.
    »Weil sie so sind«, antwortete Juliane hilflos, der aufging, was der Junge entdeckt haben könnte. »Lauf rüber zu den Soldaten, Junge, und hole zwei Männer, die den Kranken ins Dorf tragen können. Der Arzt kümmert sich um ihn.«
    Als Jakob weg war, griff sie seufzend zu ihrer Goldpuppe, schraubte den Kopf ab und zählte die Goldstücke. Nur noch vier, dachte sie, und der Krieg hat noch gar nicht begonnen, ich habe kaum noch verkäufliche Ware und dieser Dieb von einem Arzt hat tatsächlich das Goldstück angenommen und mich auch noch gefragt, ob mir ein Menschenleben nicht mehr wert sei.
    Sie dachte nicht mehr daran, daß Bleichte der Mann war, dem sie eigentlich nicht mehr eine Haferflocke hatte geben wollen. Beim fliegenden Lazarett hatte man sie abgewiesen, weil Bleichte zu schwer verletzt wäre, und ihr geraten, einen Arzt im Dorf zu suchen. Sie nahm ein weiteres Goldstück heraus und zog ihr Cape an. »Ich gehe zur alten Selma«, informierte sie Jakob.
    »Was will sie denn da?« fragte Matthäus beunruhigt, als er wenig später mit Johannes Gerter das Zelt betrat und von Jakob hörte, wo seine Frau hingegangen war.
    »Selma kehrt um und will ihr etwas von ihren Sachen

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