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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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unter dem pergamentenen Gesicht einzudringen.
    »Der Tod deines Mannes«, sagte die Alte dann einfach.
    Juliane stampfte mit dem Fuß auf: »Das hast du dir schön ausgedacht – wenn ich nicht mit dir zurückfahre, stirbt mein Mann und ich bin schuld, kann deswegen auch mit keinem anderen glücklich werden und bin meinen Kropf los. So nicht, Selma, auf deine Hexensprüche falle ich nicht rein. Gute Rückreise!« Sie stapfte hinaus in den strömenden Regen.
    Gerter stand hastig auf, als Oberst von Röder sein Zelt betrat und verbarg ein Buch hinter seinem Rücken.
    »Entschuldigung, wenn ich Sie erschreckt habe.« Leicht belustigt musterte von Röder das Gesicht des Oberleutnants. »Sie lesen gerade Ihre Post?«
    Gerter schüttelte den Kopf. »Nein, ein Buch«, murmelte er.
    »Das ist gut, das bringt Sie auf andere Gedanken und macht frisch für neue Taten.« Er streckte die Hand aus und zögernd reichte ihm Gerter den Band.
    »Schiller!« rief von Röder. »Unser ungehorsamer Landsmann!«
    »Man muß ja wissen, was so geschrieben wird«, wand sich Gerter, der schon das Ende seiner Karriere kommen sah. Die Lektüre von Schiller war zwar nicht ausdrücklich verboten worden, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß von Röder sie guthieß.
    »Und setztet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein«, zitierte von Röder.
    Gerter starrte ihn mit offenem Mund an.
    »Erzählen Sie es nicht weiter«, flüsterte der Oberst. »Aber Schiller ist auch mein Lieblingsdichter und dieses Zitat schätze ich besonders.«
    »Vielleicht, weil es einen Widerspruch enthält«, erklärte Gerter, nur mühsam seine Begeisterung unterdrückend, daß der von ihm verehrte Oberst seinen literarischen Geschmack teilte, »man gewinnt etwas dadurch, daß man bereit ist, es jede Sekunde zu verlieren.«
    »Genau so ist es, lieber Freund.«
    Der Oberst setzte sich und zog seine Pfeife hervor. Eilig zündete ihm Gerter ein Streichholz an.
    »Nur der fühlt sich frei im Rahmen der soldatischen Gesetze, der die Angst vor dem Tod überwunden hat. Wer vor dem Tod Angst hat, wird sein Sklave.«
    Gerter nickte. Er hoffte, daß sich seine eigene Angst vor dem Tod nicht zeigte. Auch er griff auf Schiller zurück: »Wenn ich einmal zu fürchten angefangen, habe ich zu fürchten aufgehört.« Wenn's doch bloß so wäre, dachte er und sagte: »Wir sind ein kleines Land zwischen großen Mächten. Da müssen wir unser Fähnchen, unser württembergisches, wohl nach dem Wind hängen. Aber ich liebe mein Leben auch ohne die Bereitschaft, es jede Sekunde zu verlieren.«
    »Ich weiß. Darum habe ich Sie auch zum Quartiermacher befördert. Sie werden erfolgreich sein, wenn Sie Ihre Leute dort einsetzen, wo sie ihre Fähigkeiten voll entfalten können. Ich werde Ihnen übrigens Korporal Schreiber direkt unterstellen, das ist ein zuverlässiger Mann und er wird Ihnen von Nutzen sein.«
    Am Mittag des folgenden Tages schloß sich das 3. Armeekorps den Truppen an, die über die drei Brücken nach Rußland strömten. Die Spannung unter den Soldaten war gestiegen, denn schon am Vortag hatten sie beobachtet, wie die Russen ihre Stellungen am Ufer verlassen hatten. Niemand verstand, was dieser Rückzug zu bedeuten hatte.
    »Sie haben Angst vor uns, die russischen Feiglinge!« meinte Mössner zu Ziegler, der entgegnete, daß er sich vor einem Angriff aus dem Hinterhalt fürchte.
    »Sie sollen nur kommen!« war Mössners Kommentar. Seine Augen glänzten fiebrig. Er hatte so lange auf die wirkliche Schlacht gewartet, auf den Moment, in dem er sich als Held bewähren wollte, daß es ihm unerträglich erschien, auch jetzt nur das zu tun, was sie seit Monaten getan hatten, nämlich weiterzumarschieren.
    Nicht nur den Offizieren, sondern auch den einfachen Soldaten wurde schon nach dem ersten Tag auf russischem Boden klar, daß die Truppen des Zaren die Strategie der verbrannten Erde verfolgten. Der Feind war nirgends zu sehen, aber seine Spuren sprachen eine deutliche Sprache.
    Die Große Armee stieß auf verwaiste, niedergebrannte Dörfer, zugeschüttete Brunnen und abgefackelte Felder. Wasser und Nahrung waren nirgends zu finden, viele Pferde wurden durch Koliken gequält und gingen zugrunde.
    Am 26. Juni befand sich die Armee auf dem Marsch nach Evé. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel und die Stiefel der Marschierenden wirbelten Staub auf, der sich in den Lungen festsetzte. Die ersten Fälle von Ruhr und Nervenfieber traten auf und nur Pflichtgefühl

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