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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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vorspannen mußte. Bei der württembergischen Artillerie waren jetzt schon über 60 Pferde gestürzt; die berittene Artillerie mußte nun ihre Pferde zur Bespannung der Geschütze abgeben. Der Marsch der Colonnen wurde jeden Augenblick gehemmt; denn die Leute versanken mit jedem Tritt bis über die Knöchel im Koth . Weit verderblicher aber als bei den Menschen, äußerte sich dieses Unwetter bei den zahlreichen Pferden der Armee. Denn bei dem täglichen oft kargen grünen Futter blieben sich durch die Eilmärsche die Anstrengungen von einem Tage zum andern gleich, die auch die am besten genährten und kräftigsten Thiere zu Grunde richten mußten; als sie nun vollends der drei Tage unausgesetzte kalte Regen, ohne Schirm unter dem freien Himmel, traf, fielen auf dem kurzen Wege von Kowno nach Wilna allein 12.000 Pferde.
    Wochenlange Hitze entlud sich noch vor der Ankunft des Korps in Evé in einem Gewitter. Die ersten Regenschauer wurden von der durstigen Truppe mit Jubel begrüßt und auch Juliane nutzte die Gelegenheit, sich und ihre Kleidung von der himmlischen Dusche waschen zu lassen. Endlich ließ das würgende Gefühl in ihrer Kehle nach. Es rührte nicht nur vom Durst her, sondern auch von dem Ekel, der sie packte, wenn sie die Soldaten unterwegs ihren Durst mit Pferdeharn stillen sah.
    Doch die anfängliche Freude über die Erfrischung von oben wich bald neuer Verzweiflung. Der Sturm ließ nicht nach, eine Gewitterfront baute sich auf der nächsten auf, Sturzbäche fielen vom Himmel, Blitze blendeten die Augen und das Krachen des Donners hallte in den Ohren. Innerhalb kürzester Zeit versanken die Straßen im Morast, Geröll rutschte von den Hügeln auf die Wege, brachte Pferde zum Stürzen und Wagen zum Umkippen. Stiefel und Uniformen faulten auf dem Leib und die Feuchtigkeit schien bis auf die Knochen durchzudringen.
    Dem 3. Armeekorps wurde bei Evé ein durchweichtes Grasfeld als Lagerstätte zugewiesen. Da nirgends Feuerholz zu beschaffen war, machte sich Matthäus im strömenden Regen auf zu einem etwas höher gelegenen Bauernhäuschen, um zu erkunden, ob irgendwo in der Nähe Brennstoff aufzutreiben sei.
    Wütendes Geschrei ließ ihn aufhorchen, als er einen halbverfallenen Schuppen erreichte. Er entsicherte sein Gewehr und blickte vorsichtig um die Ecke auf einen Hof. Ein vielleicht vierzehnjähriger, eher schmächtiger russischer Junge versuchte einem offensichtlich betrunkenen französischen Soldaten ein wild flatterndes mageres Huhn zu entwinden.
    Es gelang ihm, dem Franzosen ein Bein zu stellen und das Huhn zu packen, als der Soldat in den Schlamm stürzte. Fluchend richtete sich der Franzose halb auf, griff zum Gewehr und schoß vor Schreibers entsetzten Augen dem weglaufenden Knaben in den Rücken. Lautlos fiel der Junge aufs Gesicht. Das Huhn gackerte und flatterte auf den Brunnenrand.
    Voll Grimm wollte sich Matthäus auf den Soldaten stürzen, als plötzlich ein Mann aus dem Haus rannte, eine alte Flinte auf den Franzosen richtete und ihn niederstreckte. Um den Kopf des Franzosen bildete sich langsam eine Blutlache, die sich mit dem bergab fließenden Wasser vermischte.
    Der Mann, dem Tränen übers Gesicht strömten, warf sich auf das Kind, hielt den toten Körper in den Armen und bedeckte ihn mit Küssen. Laut klagend hob er die Arme und richtete den Blick gen Himmel, als er plötzlich merkte, daß neben ihm ein anderer Soldat stand.
    Matthäus Schreiber hatte sein Gewehr gegen den Schuppen gelehnt. Er reichte dem Mann, der ihn gleichzeitig angstvoll und zornig anblickte, die Hand. Schwerfällig zog sich der Russe daran hoch und fiel Matthäus mit lautem Schluchzen in die Arme. Hilflos klopfte ihm Matthäus auf den Rücken und löste sich dann vorsichtig aus der Umklammerung.
    »Die beiden können hier nicht liegenbleiben«, sagte er in breitestem Schwäbisch und deutete hinter sich, wo sich, so weit man blicken konnte, das Lager des 3. Armeekorps erstreckte. Der Bauer schien ihn zu verstehen. Gemeinsam hoben sie den Franzosen auf und trugen ihn in den Schuppen.
    »Ich werde ihn später begraben«, sagte der Mann auf Russisch, aber Matthäus verstand.
    Seinen Sohn trug der Mann allein ins Haus, bettete ihn auf eine harte Bank in der Küche, schob dem Kind ein Kissen unter den Kopf und kniete vor dem Leichnam nieder.
    Mit einem Rechen verwischte Matthäus die restlichen Blutspuren auf dem Hof und versuchte dabei auch seine Gedanken zu ordnen. Der Vater des Jungen hatte einen Angehörigen der

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