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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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näherte. Bei seiner Rückkehr würde der Herr nicht nur ein völlig leer geräumtes Haus vorfinden, sondern eins, das jeden Augenblick einstürzen könnte, da Soldaten sogar die Stützbalken herausgerissen hatten.
    Schon seit Tagen hatten sich Wolodja und sein Sohn Aljoscha nicht vom Hof getraut. Immer wieder mußten sie sich der Franzosen erwehren, die sich offensichtlich aus dem Weinkeller des Gutshauses bedient hatten und ihnen den Hahn und die beiden Hühner, die ihnen noch als einziges geblieben waren, abspenstig machen wollten.
    »Eier sind jetzt wichtiger als einmal Fleisch«, machte Wolodja Matthäus verständlich. Matthäus hatte schon mindestens zwanzig russische Worte gelernt.
    Stunden später schieden die beiden als Freunde. Matthäus hatte sich noch einmal niedergekniet und mit Tränen in den Augen von dem Kind Abschied genommen. Als er mit den Holzscheiten zurück ins Lager kam, freute er sich schon aufs Gesicht der Assenheimerin, wenn er ihr drei Eier überreichte.
    Während das Korps nur eine Nacht in Evé verbrachte, entschied sich Juliane, dort ein paar Tage länger zu bleiben, um nach Lebensmitteln und Leder Ausschau zu halten. Viele Soldaten hatten längst keine Sohlen mehr an den Stiefeln. Sie liefen barfuß oder hatten die Füße mit Stoff umwickelt.
    Beim Regiment kursierten außerdem Gerüchte, daß der von König Friedrich versprochene, sehnlich erwartete Zwiebacktransport ausbleiben würde, weil es keine Pferde mehr gab, um die Wagen zu ziehen. Matthäus wußte von Wolodja, daß es sinnlos wäre, in süd- oder nordöstlicher Richtung nach Vorräten zu suchen. Hier hatten bereits die ersten Kolonnen der Großen Armee gehaust und außerdem machten Kosaken die Gegend unsicher. Den Nordwesten hielt Wolodja für sicher, aber ob es dort Nahrungsmittel gäbe, hatte er nicht sagen können. Matthäus, der seine Frau mit ungutem Gefühl zurückließ, riet ihr, dort zu suchen.
    Ohnesorg bat seinen Vorgesetzten Georg Mössner, als Wache bei der Marketenderin bleiben zu dürfen, aber Mössner wollte davon nichts hören.
    »Weiber, die am Krieg verdienen wollen, verdienen unseren Schutz nicht«, beschied er Ohnesorg. Obwohl er selbst nichts mehr mit der Assenheimerin zu tun haben wollte, nahm er es dem Rekruten übel, daß der offenbar seinen früheren Platz bei ihr eingenommen hatte. Er wußte, daß die Assenheimerin Ohnesorg das Leben gerettet hatte, und es bereitete ihm Befriedigung, daß es in seiner Hand lag, dem Rekruten dieses Leben sauer zu machen. Ohnesorg, der auf ähnliche Weise wie Mössner rekrutiert worden war und sich mit diesem in Öhringen hervorragend verstanden hatte, begriff nicht, welche Wandlung mit dem jungen Soldaten vor sich gegangen war. Er erinnerte sich an einen Abend, an dem ihm Mössner verlegen ein Liebesgedicht gezeigt hatte, das er für Clärle geschrieben hatte. Gemeinsam hatten sie über ihr Schicksal geklagt, das sie nun für Jahre an einen Beruf band, der ihnen nicht erlaubte ihre Jugend auszukosten, der sie fern der Heimat und allem Vertrauten hielt.
    Ohnesorg erinnerte sich daran, daß Mössner einmal sogar etwas von Desertieren gemurmelt hatte. Aber dann hatte sich Mössner plötzlich angepaßt, hatte sein Mädchen weggestoßen, war befördert worden und machte jetzt seinen Kameraden das Leben unerträglich schwer.
    »Ich brauche dich zum Kanonenziehen, wir haben nicht genügend Pferde«, grinste er. »Los, mach schon!« bellte er Ohnesorg an, der ihn fassungslos ansah und nicht auf die Idee kam, daß ihn Mössner gerade deswegen so schlecht behandelte, weil er ihn damals ins Vertrauen gezogen hatte. Unerträglich war Mössner der Gedanke, daß es einen Zeugen seiner einstigen Schwäche gab, einen Zeugen aus der Zeit, bevor er ein richtiger Mann geworden war.
    Nachdem die Truppe weitermarschiert war, wartete Juliane noch einen Tag, bis der Regen etwas nachgelassen hatte. Am Morgen des 29. Juni drückte sie Jakob eine Pistole in die Hand, gab ihm kurzen Schießunterricht und befahl ihm, die Waffe auf jeden zu richten, der sich an ihrem Wagen zu schaffen machen würde.
    In der Hoffnung, auf einen noch nicht von den Russen zerstörten oder von Truppen geplünderten Bauernhof zu stoßen, beschloß sie, in nordwestliche Richtung querfeldein zu wandern. Bei dem durchnäßten Untergrund war es sinnlos, das Gefährt zu nehmen. Sollte sie wider Erwarten größere Mengen auftreiben, könnte sie den Wagen immer noch holen. Um auch ihrem Pferd eine Rast zu gönnen, machte sie

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