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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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sich zu Fuß auf den Weg über die Felder.
    Sie hatte keine Angst um ihr Leben, nur Angst nichts auftreiben zu können.
    Sie schöpfte Hoffnung, als sie nach einem halbstündigen Marsch einen Bauern in russischer Tracht am Waldrand entdeckte und rief ihn an.
    Als sie sah, mit welch gierigem Blick er auf sie zustrebte, zog sie schnell den Hahn ihrer doppelläufigen Pistole nach hinten und hielt ihn in Schach. Grinsend hob der Bauer die Arme, ließ ein paar gelbe Zahnstümpfe sehen und bedeutete ihr, ihm zu folgen.
    In der dunklen Kammer einer halb verfallenen Blockhütte, die offenbar nur durch die Bergwand dahinter vor dem Einsturz bewahrt wurde, zeigte ihr der Bauer seinen Vorrat an Tee, Stroh und Kräuterbündeln.
    Der Duft der Kräuter war von einem scharfen Fäulnisgeruch überlagert, der vom schwarz gewordenen Mist vor dem Haus stammte und alles zu durchdringen schien. Der Gestank haftete auch dem Bauern an.
    Juliane, deren Sinne wie Messer geschärft waren, atmete flach und fürchtete, mit jedem Atemzug die ungesunde Luft in sich aufzunehmen.
    Ihr wurde schwindlig, wahrscheinlich weil sie außer einem hart gekochten Ei schon seit Tagen nichts Richtiges gegessen hatte. Sie schwankte leicht. Mit einer blitzschnellen Bewegung entwand ihr der Bauer die Pistole.
    Er lachte meckernd und stieß Juliane in eine fensterlose Stube, in der das Tageslicht nur durch jene paar Holzritzen fiel, die nicht mit Lehm zugestopft waren. Als sich Julianes Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, sah sie auf einer Holzbank ein Mädchen sitzen, das auf einem Saiteninstrument herumzupfte und mit schwacher, klagender Stimme etwas dazu sang. Der Bauer rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, er wollte Geld sehen. Das Mädchen hörte auf zu spielen und in der plötzlichen Stille überkam Juliane zum ersten Mal Angst um ihr Leben.
    Sie drückte sich gegen die schmutzige, feuchte Wand, zog das Beutelchen mit den Rubeln hervor, die sie in Deutschland verdient hatte, und warf es dem Bauern zu. Mit barscher Stimme forderte er seine Tochter auf, das Spiel wieder aufzunehmen. Eine schnellere Melodie erklang, der Bauer wiegte sich in den Hüften und wies auch Juliane an, sich zu bewegen. Sie schüttelte den Kopf und deutete auf die Waffe. Zeit gewinnen, dachte sie verzweifelt, ich muß hier raus, was passiert mit Jakob, wenn mich der Bauer umbringt? Was wird mit mir passieren, bevor er mich umbringt?
    Ich tanze nicht mit einer Pistole, sagten ihre Augen und sie schöpfte etwas Hoffnung. Wer tanzt, tötet nicht. Er lachte, legte die Pistole auf einen schiefen Holzstuhl, packte zwei verschrumpelte Äpfel, die vor dem Mädchen auf dem Tisch lagen, und hielt sie sich meckernd an die Brust. Sie verstehe ihn nicht, bedeutete ihm Juliane, die vermied, die Pistole anzusehen, insgeheim aber bereits abgeschätzt hatte, wie schnell sie die Waffe wieder würde ergreifen können. Ohne Juliane aus den Augen zu lassen, ließ der Bauer die Äpfel auf den Boden fallen, riß sich das Hemd von der Brust und forderte Juliane auf, ihr Kleid auszuziehen. Sie schüttelte unwillig den Kopf. Wie sie erwartet hatte, näherte er sich ihr so weit, daß sie ihm mit aller Kraft ein Knie in den Unterleib rammen konnte. Er schrie und fiel zu Boden.
    Im selben Moment ergriff Juliane die Pistole und richtete sie wieder auf ihn. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte der Bauer zu ihr auf. Seine Tochter hatte ihr Spiel wieder unterbrochen und schaute ängstlich in die Zimmerecke, aus der die bedrohlichen Geräusche kamen.
    Juliane bückte sich, hob einen der Äpfel auf und biß hastig hinein. Dann bedeutete sie dem alten Mann, ihr in die Vorratskammer voranzugehen. Fluchend füllte er den Leinensack, den sie ihm hinwarf. Als er fertig war, steckte sie das Apfelgehäuse in den Mund, rieb Daumen und Zeigefinger aneinander und hielt dann die Hand auf.
    Aber der Bauer dachte nicht daran, sich von dem Rubelsäckchen zu trennen. Mit zitterndem Finger drückte sie ab und schoß ihm vor die Füße. Er machte einen Satz rückwärts und stieß gegen ein Regal.
    Plötzlich gellte ihr ein Schrei in den Ohren. Von hinten angestoßen fiel sie gegen den Bauern und riß ihn mit zu Boden. Bei dem Gerangel löste sich aus dem zweiten Lauf ein Schuß, der die Kammerdecke traf. Dreck, Kalk und Stroh regnete auf die beiden Kämpfenden und nahm ihnen vorübergehend die Sicht. Mit der Pistole in der verkrampften Hand schlug Juliane um sich, griff, sobald sie wieder sehen konnte, nach dem

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