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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ein Glück hat, mit so einer Frau leben zu dürfen? Natürlich weiß er es, hat ja lange genug auf sie gewartet. Vielleicht wird es irgendwann eine Frau geben, die mir das auch wert ist. Wie schön, wenn deren Augen auch beinahe schwarz wären.
    Juliane wurde es unbehaglich unter seinem forschenden Blick. »Ich bring Sie wieder nach vorn zu Felix«, sagte sie, nahm das Pferd aus dem Geschirr und bemerkte zu Jakob: »Warte hier.« Der Junge brachte ein gequältes Lachen zustande. Was sollte er denn sonst tun?
    Gerter half Juliane beim Aufsitzen. Seine Berührung durchfuhr sie wie ein Blitz, und als er selber aufstieg, wagte sie es nicht, die Arme um ihn zu legen.
    Er wandte sich um: »Du mußt dich schon festhalten, sonst fällst du noch runter.«
    Vorsichtig, als wäre er zerbrechlich, legte Juliane die Arme um seine Mitte. Er gab dem Pferd die Sporen, so daß sie sich unwillkürlich an dem dicken Tuch festklammerte und die Muskeln darunter spürte. Ich fliege, dachte sie, mir sind Flügel gewachsen, der Mann vor mir atmet im gleichen Takt wie ich, es gibt nicht mehr ihn, es gibt nicht mehr mich, wir sind miteinander verschmolzen und werden für den Rest unseres Lebens immer so weiterreiten und niemals irgendwo ankommen.
    Viel zu schnell hielt Johannes an und sprang vom Pferd. Er las Enttäuschung in ihren Augen, einen ähnlichen Blick, wie ihn die Soldaten hatten, wenn sie begriffen, daß es immer noch nicht zu einer Schlacht kommen würde.
    »Mach dir keine Sorgen, Assenheimerin«, sagte Johannes, als er dem Pferd auf die Seite klopfte. »Die Russen können ihre Dörfer und ihre Städte vernichten, aber sie können sich nicht selber in Luft auflösen. Sie sind ins Landesinnere geflüchtet, weil sie Angst vor uns haben. Sie können uns nicht entkommen. Wo sollen sie denn hin?«
    Es brach ihm fast das Herz, die mutige Assenheimerin so verzweifelt zu sehen. Er verstand ja, daß sie das ganze Abenteuer so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Aber dafür mußten eben erst die Russen geschlagen werden. »Nach England können sie nicht. Da ist Wasser dazwischen. Und der Rest der Welt gehört Napoleon«, setzte er hinzu.
    Der müde Scherz zauberte kein Lächeln auf Julianes Gesicht. Wenige Minuten lang war sie von Liebe erfüllt gewesen, war von Flügeln getragen worden und eins gewesen mit dem Mann, den sie liebte.
    Jetzt fühlte sie sich verloren und bodenschwer. Haß stieg in ihr auf. Haß auf Napoleon, der die Gedanken des Geliebten beherrschte. Napoleon war an allem schuld. Daran, daß Matthäus um Jahre gealtert aussah, Jakob seine Eltern verlassen hatte, Mössner fremd geworden war, Soldaten am Wegesrand krepierten, Bleichle Potzblitz getötet hatte und für immer lahm sein würde, Menschen ihr eigenes Land verbrannten, Pferde zuhauf geopfert wurden und sie selber ihre Träume verloren hatte und schrecklich durstig war.

 
Hunger
    Aus dem Tagebuch von Johannes Gerter:
    Juni 1812
    Das angenommene Zerstörungs-Prinzip der Feinde, die sich in bester Ordnung zurückzogen, und alles vor uns verwüsteten oder mitnahmen, fing bald an, seine traurigen Früchte zu bringen; denn ungenügsame und oft elende verdorbene Nahrung mußte dem Soldaten sein mühevolles Daseyn fristen. Die Russen verwüsteten ihr eigenes Land, um uns das Nachrücken zu erschweren, und durch eintretenden Mangel an physischer und moralischer Kraft uns zu lähmen. Nach zweitägigem Marsch über Scoruli und Janowo erreicht die Große Armee Evé. Hitze, Staub, Hunger, Durst, Ruhr und Nervenfieber fordern ihren Tribut: Mehr als tausend Mann sterben unterwegs an Erschöpfung. In Evé theilt sich die Marschkolonne auf. Die württembergische Division hatte den 28. Juni bei Evé Rasttag, und ging den 29sten bei Kiergalichky über die Wilia , verließ die bisherige Direction , und bildete somit ein Seiten-Corps links der Großen Armee. Was die Uebel der Bedrängnisse auf den höchsten Grad steigerte, war die seit dem Uebergange herrschende drückende Hitze, welcher den 27. Juni ein furchtbares Gewitter mit kaltem Regen folgte, der drei Tage lang ohne die mindeste Unterbrechung in Strömen fiel. Die ohnedies schlechten Straßen wurden nun zu weiten Morästen , in denen sich der Soldat mühselig fortschleppte. Die Pferde der Reiterei versanken im Schlamm und fielen, längst bloß mit unzulänglichem grünen Futter genährt, schon zu Hunderten. Die Züge der Artillerie blieben gar stecken, daß man oft 14 bis 18 Pferde an einem Sechs- oder Achtpfünder

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