Die Marketenderin
doch …«
»… der Bruder deiner Mutter«, nickte Gerter grimmig. »Nichts, worauf ich im Augenblick besonders stolz wäre. Kommen Sie, Herr Abramow«, fügte er auf Französisch hinzu und ritt mit seinen Begleitern weiter ins Lager hinein.
Eli Abramow, ein schmaler Mittvierziger mit langem Backenbart, hatte ziemlich gut verstanden, was zwischen den beiden Männern vorgegangen war, aber er ließ es sich nicht anmerken. Den verächtlichen Blick, den ihm Mössner zugeworfen hatte, kannte er zur Genüge. So hatten ihn auch die Kosaken angeschaut, als sie sein Dorf niedergebrannt und seine Frau vor seinen Augen erst vergewaltigt und dann erstochen hatten. Ihm hatten sie einige Fußtritte versetzt und ihn dann gehen lassen, nachdem er ihnen mit zittriger Stimme ein französisches Papier übersetzt hatte, das einer der Russen am Wegesrand aufgelesen hatte.
»Unsere Dörfer werden die Kosaken immer wieder niederbrennen. Sie werden uns immer ein Weilchen aushalten, unsere Dienste in Anspruch nehmen und uns dann verjagen«, hatte ihm einst sein Vater prophezeit. Auf die Frage, warum man ihr Volk nicht in Frieden leben lasse, erzählte ihm der Vater, wie seine Vorfahren im 13. Jahrhundert vom Rheinland ins östliche Polen übergesiedelt waren.
»Zu jener Zeit, als unser Volk in Deutschland mit größter Härte verfolgt wurde, riefen uns die Polen in ihr Land. Wir sollten ihnen helfen, ihre am Boden liegende Wirtschaft wieder in Ordnung zu bringen, die eine faule Aristokratie vernachlässigt hatte. Die Oberklasse hatte die Leibeigenen ausgepreßt und Polen drohte in Armut zu versinken. Unsere Leute folgten dem Ruf, verwalteten die Gutshöfe der Reichen, trieben Steuern ein, womit sie sich bei der unterdrückten Landbevölkerung Feinde machten, und brachten den Handel in Schwung. An der Grenze zur Ukraine lebten damals griechisch-orthodoxe Kosaken, die von den polnischen Herren grausam behandelt wurden. Die Kosaken mußten nicht nur Steuern für Land und Vieh bezahlen, sondern auch für ihre Kirchen und religiösen Gebräuche. Die Polen überließen den Juden die undankbare Aufgabe, das Geld einzutreiben, und gaben ihnen die Schlüssel zu den Kosakenkirchen. Mit welchem Ergebnis? Daß die Wut auf uns Juden die Wut auf die Unterdrücker ablöste und sich die Kosaken im 17. Jahrhundert mit den polnischen Bauern zusammentaten, siebenhundert jüdische Gemeinden überfielen und einhunderttausend Juden umbrachten. Unseren Vorfahren gelang es, über die russische Grenze zu flüchten, aber auch hier werden wir nicht in Ruhe gelassen.«
»Wann wird das alles enden?« hatte Eli seinen Vater gefragt, der darauf nur erwiderte: »Wenn der Messias kommt, der uns endlich befreit und uns eine Heimat gibt, in der wir uns sicher fühlen können.«
Eli wollte nicht so lange warten. Welchen Sinn hatte es, zum auserwählten Volk zu gehören, wenn man nicht einmal eine Heimat wählen und da bleiben konnte? Er hatte sich vom Dorfschulmeister Bücher ausgeliehen, sich selbst Französisch beigebracht und alles über die Französische Revolution gelesen. Frankreich, das war sein Traumland. Nur gab es keine Möglichkeiten, dorthin zu reisen. Aber jetzt kamen die Franzosen selber, und Eli wünschte ihnen den Sieg, damit sie den Geist der Französischen Revolution auch auf Rußland übertragen und ihn und die Seinen endlich in Frieden leben lassen würden.
Gerter, den er für einen Franzosen hielt, hatte er auf der Straße in Maliaty angesprochen und ihm seine Dienste angetragen. Es war nicht der erste ›Franzose‹, mit dem Eli Kontakt gesucht hatte, aber der erste, der ihn auch anhörte. Da er sein Französisch aus Büchern hatte, ließ seine Aussprache sehr zu wünschen übrig und er selbst brauchte auch einige Zeit, um das gesprochene Wort zu verstehen. Oft mußte er es sich erst geschrieben vorstellen. Er war dankbar, daß Gerter ihm geduldig zuhörte. Seine Antwort war für Abramow viel verständlicher als die der Franzosen, an denen er das Erlernte zuvor ausprobiert hatte. Als Gerter ihm auseinandersetzte, daß er Württemberger sei, der unter französischer Fahne ritt, konnte Eli mit dieser Information nichts anfangen. Er hielt Württemberg für eine französische Provinz, in der ein vernünftigerer Dialekt gesprochen wurde.
Erst jetzt im Lager begriff er, daß es sich um deutsche Soldaten handelte, die er, dem Jiddisch sei Dank, trotz ihrer seltsamen Aussprache würde verstehen können. Allerdings hielt er es für geraten, ihnen das zu
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