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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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dabei ziemlich exponiert wäre.
    »Wir müssen es riskieren, wir haben immerhin dreißig Soldaten mitgenommen«, meinte Gerter und vereinbarte mit Schreiber, daß fünfzehn Mann mit entsicherten Gewehren vorausmarschieren, fünf die Nachhut bilden und die anderen die Wagen betreuen sollten.
    Die Kolonne hatte den Berg noch nicht erreicht, als die Vorhut auf eine Bewegung in den Weizenfeldern aufmerksam wurde. »Stehen bleiben!« befahl Schreiber.
    Ein russischer Ruf erscholl und plötzlich stürmten etwa fünfzig Männer aus den Weizenfeldern. Alle trugen die einheimische Bauerntracht und die meisten waren barfuß. Einige richteten alte Gewehre auf die Kolonne, andere hielten Mistgabeln wie Speere in den Fäusten.
    »Über die Köpfe schießen! Feuer!« befahl Matthäus. Juliane hielt sich die Ohren zu, als dreißig Schüsse gleichzeitig abgefeuert wurden. Die Bauern warfen sich zu Boden und rannten dann wie vom Teufel gejagt davon. Einer hatte noch einen Schuß abgegeben und ein Weinfaß getroffen.
    »Becher raus!« rief Juliane vergnügt. Ein strafender Blick von Matthäus traf sie, aber der Korporal hinderte die Soldaten nicht, ihre Becher unter die Einschußstelle zu halten.
    »Davon werden sie schon nicht betrunken werden, Matthäus, sie haben ja gerade gut gegessen«, meinte Gerter, der seine Feldflasche entkorkte, sich das Wasser übers Gesicht schüttete und dann ebenfalls zum Weinfaß eilte.
    »Was waren das für Leute?« erkundigte sich Juliane bei ihm, als sie später weiterzogen. Seitdem sie Johannes im Beisein von Matthäus geküßt hatte, fühlte sie sich wie befreit und konnte endlich wieder unbefangen mit ihm umgehen.
    »Wahrscheinlich die Leibeigenen des Gutsherrn.«
    »Keine besonders mutigen Menschen.«
    »Warum sollten sie auch ihr Leben für ihren Zwingherrn aufs Spiel setzen?« fragte Johannes.
    Juliane dachte einen Moment nach. »Gibt es denn unter Napoleon Leibeigene?«
    Gerter schüttelte den Kopf.
    »Dann begreife ich nicht, weshalb sie sich uns nicht anschließen. Wenn ich es richtig verstehe, sind sie eine Art Sklaven, haben nichts zu verlieren, nur die Freiheit zu gewinnen und Freiheit steht doch auf Napoleons Fahnen, wenn ich mich nicht irre«, setzte sie in dem sarkastischen Tonfall hinzu, den sie neuerdings immer gebrauchte, wenn von Napoleon die Rede war.
    »Aha, du fängst also an, Verständnis für unsere Mission zu haben«, neckte Johannes. »Bisher hast du sie doch für ausgemachten Wahnsinn gehalten.«
    »Tue ich immer noch, keine Sorge. Ich könnte mir nur vorstellen, daß so unwissende Leute auf … so große Sprüche reinfallen. Wenn man nichts zu verlieren hat …«
    »… kann man die Welt gewinnen«, unterbrach Johannes. »Aber es ist nur sinnvoll für uns, wenn wir uns mit einer Organisation verbinden, nicht aber mit einem führerlosen, unkontrollierbaren Haufen. Du hast doch gesehen, wie abgerissen und ungeordnet diese Bauern waren. Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, vor dem freien Menschen erzittert nicht. Aber diese Menschen haben ihre Ketten eben noch nicht zerbrochen, sind daher unberechenbar. Außerdem nehme ich an, daß Napoleon die russische Aristokratie nicht verärgern will. Schließlich sind wir in dieses Land eingefallen, damit er es sich einverleiben und hinterher mit den Großen des Landes gemütlich Brüderschaft trinken kann.«
    »Du meinst, er hat was gegen eine französische Revolution auf russischem Boden?« fragte die Assenheimerin.
    Gerter sah sich um, ob auch niemand sonst zuhörte. Dann beugte er sich vor und flüsterte: »Er hat auch etwas gegen eine französische Revolution in Frankreich!«
    Ohne weitere Zwischenfälle langte der Trupp mitten in der Nacht in Maliaty an. Alle Handmühlen wurden sofort in Bewegung gesetzt und man wußte, daß für zwei Wochen genügend Nahrung bereitstand. Die Vorräte wurden beim Lazarett abgeladen und Hans Schad dankte der Assenheimerin, daß sie auch daran gedacht hatte, frische Leintücher, Verbandsmaterial und Medizin mitzunehmen.
    »Ich habe keine Ahnung, was in den Flaschen steckt«, gab sie zu. »Aber es roch nach Medizin, und du wirst schon wissen, wofür das Zeug gut ist.«
    Juliane konnte sich kaum daran erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein wie in jener Nacht in Maliaty, als sie ihren Kranken, die endlich in einigermaßen sauberen Betten lagen, erstmals eine richtige Mahlzeit servieren konnte.
    Dr. Schad mußte sie immer wieder warnen, die Teller nicht zu sehr zu füllen, da die

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