Die Marketenderin
Vorgesetzten der anderen ausgemacht hatte, verbeugte sich leicht vor ihr, küßte ihr die Hand und bat seinen Begleiter, etwas zu übersetzen.
»Seine Majestät bittet den Stoff als Zeichen seiner Dankbarkeit anzunehmen. Wenn schöne Frauen unsere tapferen Soldaten anfeuern, dann ist der Sieg unser.«
Ihr blieb der Mund offenstehen, die Leinentasche fiel zu Boden und die Puppe rollte dem Kaiser zu Füßen. Napoleon bückte sich, hob sie mit zwei spitzen Fingern an ihrem schmutzigen Kleid auf, schüttelte den Kopf und ordnete an, noch zwei Ellen Stoff dazuzugeben. Während er ihr die Puppe zurückgab, fragte er den Rheinländer etwas.
»Seine Majestät will wissen, ob du mit einem Kind unterwegs bist.«
»Mit einem Kind?« Juliane verstand die Frage nicht, dachte sofort an Jakob.
»Weil du eine Puppe dabeihast. Seine Majestät findet, daß nicht nur die Puppe, sondern auch deine Tochter ein neues Kleid verdient.«
Und damit stellte der Offizier den ganzen Stoffballen vor sie hin. Juliane vergaß zu atmen. Der Mann, der daran schuld war, daß tausende Soldaten vor den Toren der Stadt verwesten, der Mann, der ohne Rücksicht auf Verluste der ganzen Welt seinen Willen aufzwang, der Mann, den sie sich immer mit zwei Hörnern auf der Stirn vorgestellt hatte – dieser Mann schenkte ihr, Juliane Assenheimer, Blümchenstoff für ein Kleid. Als sie endlich wieder Luft holen konnte, war der Kaiser mit seinen Offizieren bereits im Haus verschwunden.
Ein Soldat bot sich an, ihr die Stoffrolle zu tragen, aber sie schüttelte den Kopf. Sie würde lieber verdursten, als von diesem Ungeheuer einen Schluck Wasser annehmen, lieber sterben, als von ihm gerettet werden, lieber in Lumpen herumlaufen … sie warf einen Blick auf die Stoffrolle.
Natürlich würde es Napoleon nie zu Ohren kommen, daß sie sein großzügiges Geschenk stolz von sich gewiesen hatte. Dafür würden die Soldaten schon sorgen. Die würden den Stoff selber nehmen und dann könnte sie ihn auf dem Markt zu einem überteuerten Preis erstehen. Das wäre schön dumm.
»Assenheimerin!« hörte sie hinter sich. »Was machst du denn vor der Höhle des Löwen?« Gerter trat näher und blickte auf die Stoffrolle. »Aha, Stoff erobern! Bonjour!« rief er zu den französischen Soldaten hinüber, die augenblicklich aufgeregt auf ihn einzureden begannen. Juliane konnte sich schon denken, was sie ihm erzählten.
Gerter wandte sich ihr wieder zu. Ein belustigtes Lächeln spielte um seine Lippen.
»Ich höre, du hast einen einflußreichen Freund gefunden. Und jetzt darf ich dir wohl die Gabe Seiner Kaiserlichen Hoheit zum Wagen schleppen?«
Ihr kam der Gedanke, daß Gerter als Offizier sicher Zutritt zu dem Gebäude erhalten würde.
»Nein!« rief sie. »Ich möchte, daß du da reingehst, den Offizieren sagst, daß dieser Napoleon in seinem Stoff ersticken soll … daß eine ehrliche württembergische Marketenderin von einem Verbrecher nichts geschenkt …«
»Ruhig!« Gerter zog sie beiseite. »Es gibt immer Leute, die Deutsch verstehen.«
»Das ist mir egal. Ich möchte den Stoff nicht haben!«
»Natürlich möchtest du ihn haben. Du willst dir daraus ein wunderschönes Kleid machen.«
Sein Blick glitt über ihr mehrfach geflicktes, ausgebleichtes, einstmals dunkelblaues Kleid und blieb an einem Riß im Ärmel hängen, den sie selber noch nicht entdeckt hatte. Hastig legte sie eine Hand darüber.
»Das ganze Regiment wird dein Zelt stürmen, um sich endlich mal wieder an einem schönen Anblick zu weiden. Warum willst du uns diese Freude nehmen?«
»Ach, laß mich in Ruhe!«
Sie wandte sich ab und stapfte davon. Gerter schulterte den Stoffballen und folgte ihr.
Noch nie hatte Matthäus Juliane am hellichten Tag um ihren kostbaren Branntwein gebeten. Aber als der Trupp der Rekonvaleszenten zwei Tage später bei Lioszna endlich wieder die württembergische Division einholte, saß er mittags kreidebleich bei ihr im Zelt und stürzte ein Glas in einem Zug hinunter. Sie setzte sich zu ihm und wartete.
»Es ist unglaublich«, flüsterte er schließlich. »Ich habe schon eine Menge erlebt, aber das ist bisher das Schlimmste. Noch ein Glas, bitte.«
Er begann Namen aufzuzählen, Namen, die Juliane kannte, weil sie in ihrem Kreditbüchlein standen, weil zu ihnen Gesichter gehörten, die sie angelacht hatten. Sie begriff, daß diese Männer alle tot waren.
»Mehr als die Hälfte aller Regimenter ist tot oder liegt in den Spitälern«, sagte Matthäus
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