Die Marketenderin
Tränen in den Augen berichtet.
Das Unglück war in dem Augenblick geschehen, als das Regiment durch den Dnjepr waten sollte, um die andere Seite der Stadt zu erreichen. Der Fluß war nicht sonderlich tief, ging den meisten Männern höchstens bis an die Schulter. Ein Offizier, dessen Namen Koch nicht nennen wollte, konnte nicht schwimmen und hatte Angst vor dem Wasser. Daraufhin suchte sich Mössner drei weitere starke Männer und schlug ihnen vor, daß sie den Offizier auf ihre Gewehre setzen und so hinübertragen sollten. Der Offizier nahm das Angebot an, die Soldaten hoben den eisernen Sitz an und hielten ihn hoch, als sie vorsichtig ins Wasser stiegen. Jakob, für den der Fluß zu tief war, hatte seine Trommel ins Wasser gleiten lassen, sich darauf gesetzt und nutzte jetzt die Gelegenheit, sich an Mössner, der hinten ging, festzuhalten, um so ans andere Ufer gezogen zu werden.
»Laß los«, hatte ihn Mössner aufgefordert und den Jungen abgeschüttelt. Dadurch verlor Jakob das Gleichgewicht und rutschte von der Trommel. Die Umstehenden waren zu sehr damit beschäftigt, den drolligen Anblick des Offiziers zu genießen, der mit gezogenem, hoch emporgehaltenem Degen auf den Gewehren thronte, um auf den kleinen Jungen zu achten, der im Schatten der Trommel um sein Leben rang.
Korporal Koch, der vom anderen Ufer aus den Vorfall beobachtet hatte, stürzte sich ins Wasser, aber es gelang ihm nur noch, den leblosen Körper zu bergen.
»Was denn?« rief ein Soldat mit einer Kopfbinde, als Felix Juliane in das zum Lazarett umfunktionierte Schlößchen trug. »Schicken wir jetzt schon Frauen an die Front?!«
»Und Kinder«, murmelte Felix mit zusammengebissenen Zähnen. Regimentsarzt Dr. Roos wies ihm den überdachten Vorhof an, in dem sich Matthäus von den Folgen seiner Operation erholte.
»Es sah schlimmer aus, als es war«, beruhigte Dr. Roos den kleinen Diener. »Der Korporal wird bald wieder herumkommandieren können. Legen Sie seine Frau auf den Boden neben ihn, gut, daß Sie eine Decke mitgebracht haben!«
»Ich schlafe nicht«, meldete sich Matthäus leicht röchelnd zu Wort. »Ich bin unendlich müde, aber ich kann nicht schlafen!« klagte er.
Dr. Roos informierte ihn, daß er mehr als 24 Stunden hintereinander geschlafen und somit die Eroberung von Smolensk versäumt habe. Auch die Assenheimerin hatte inzwischen wieder die Augen geöffnet und betrachtete ihren Mann, als ob sie ihn zum ersten Mal richtig sähe.
»Na, mein Mädchen«, flüsterte Matthäus und seine Grübchen vertieften sich, »hast du den Feind ordentlich erschreckt?«
Es kostete sie unendlich viel Mühe, ihre Hand zu bewegen, aber zitternd krochen die Finger ihrer Rechten auf Matthäus' linke Hand zu. Er beobachtete ihre Bemühung mit hochgezogenen Augenbrauen und langsam verschwanden ihre Finger in seiner Hand.
So fand Johannes Gerter die beiden vor, als er am nächsten Vormittag ins Spital kam. Er blieb nicht lange, denn Matthäus schlief und Juliane war nicht ansprechbar.
»Hätte ich doch bloß den Stoff nicht angenommen«, weinte sie nur immer wieder. »Es ist alles meine Schuld.«
Als die württembergische Division am 23. August Smolensk verließ, waren auch Juliane und Matthäus wieder dabei. Der Korporal hatte sich erstaunlich gut erholt, allerdings konnte er noch nicht gehen. Juliane hatte es abgelehnt, ihn vom fliegenden Lazarett transportieren zu lassen und ihm in ihrem Wagen ein Lager bereitet.
Wie es Felix gelungen war, ein neues Pferd für sie aufzutreiben, konnte ihr Gerter nicht sagen. Weil es ein kräftiger Fuchs war, vermutete Juliane, daß er zuvor dem Feind gedient hatte. Die meisten Pferde der württembergischen Reiterei waren nämlich zu Kleppern herabgesunken.
Sie selbst war nicht verletzt worden, sondern zunächst in eine tiefe Ohnmacht gefallen und danach einige Tage lang leicht verwirrt gewesen. Dr. Roos führte ihren Zustand auf Schreck und Angst zurück. Das einzige, woran sich Juliane noch erinnern konnte, war ein ohrenbetäubender Knall. Das Hören bereitete ihr immer noch große Mühe. Sie wußte nicht mehr, wie und warum sie an die Front gekommen war, aber sie wußte ganz genau, daß sie einen wichtigen Grund gehabt haben mußte.
»Irgendwas stimmt nicht, irgendwas fehlt«, sagte sie vor dem Abmarsch fast verzweifelt zu Johannes. »Ich zerbreche mir den Kopf, schaue mich dauernd um, als ob ich irgendwas oder irgendwen zurückgelassen hätte. Aber wen?«
Sie drückte ihre Goldpuppe an sich.
Ein
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