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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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schließlich. »Die, die noch nicht verhungert oder vor Erschöpfung tot umgefallen sind, sehen aus wie Gespenster. In unserer Kompanie sind nur noch 50 Mann dienstfähig und auch die würde man in Friedenszeiten nicht mit ins Manöver lassen. Bei den französischen Regimentern sieht es genauso aus. Und weißt du, was Marschall Ney dazu sagt? Der Krieg werde mehr als je mit den Füßen gemacht! Liebstes Julchen, ich weiß nicht mehr weiter.«
    Juliane verscheuchte das Gesicht der alten Selma, das plötzlich vor ihrem geistigen Auge auftauchte. Warum habe ich Napoleon nicht einfach erschossen, fragte sie sich grimmig. Ich hätte es tun können, er stand direkt vor mir und ich hatte eine geladene Pistole in der Rocktasche! Dann wäre alles vorbei gewesen, Rußland russisch geblieben und wir hätten nach Hause zurückkehren können.
    Johannes Gerter hatte sich gleich nach dem Eintreffen in Lioszna darum bemüht, Eli Abramow den Lohn für seine Hilfe zu beschaffen. Ohne Schwierigkeiten wurden ihm tausend Rubel bewilligt. Sofort forderte er den Zahlmeister auf, das vereinbarte Honorar an den Juden auszuzahlen.
    »Dafür dürfen Sie mich heute abend bei Frau Assenheimer zum Wein einladen«, sagte er zu Eli, als er ihn zum Zahlmeister schickte. Aber Johannes Gerter sah Eli Abramow nicht wieder.
    »Was willst du«, sagte Juliane, als Johannes sich am Abend in ihrem Zelt darüber wunderte, daß der Dolmetscher nicht auftauchte. »Er ist halt ein Jud und denen geht's nur ums Geld …«
    »… dir etwa nicht?« fuhr Johannes sie an. Er konnte sich nicht vorstellen, daß er sich in Eli so geirrt haben sollte.
    Das hatte er auch nicht, aber woher sollte er wissen, daß der Zahlmeister Eli mit der Bemerkung, alle Juden seien Betrüger, nur ein paar hundert Rubel ausgehändigt und ihn mit der Peitsche aus dem Lager gejagt hatte?
    Die Württemberger Division bestand nur noch aus 5000 kampftauglichen Männern, als das 3. Armeekorps am 12. August die Straße nach Smolensk einschlug und zwei Tage später den Fluß Dnjepr erreichte. Juliane erinnerte sich an den überwältigenden Eindruck, den die Große Armee vor dem Überschreiten des Niemen auf sie gemacht hatte. Welch ein Unterschied! Hier setzte eine abgerissene, armselig aussehende Truppe auf mehreren Schiffsbrücken über den Fluß.
    Mit hohlen, sonnenverbrannten Gesichtern, in denen sich Spuren der Strapazen eingegraben hatten, marschierten die Massen stumm und düster über die zertretenen Getreidefelder. Weil die Soldaten nachts meist ohne Stroh und jeder Witterung preisgegeben auf bloßer Erde lagerten, hatten die Uniformen die Farbe des Bodens angenommen, glichen zum Teil dem graugrünen Tuch des Feindes und waren an den Aufschlägen kaum noch erkennbar.
    Daß diese ausgelaugte Truppe trotzdem noch am selben Mittag das erste größere Gefecht mit den Russen bei Krasnoë für sich entscheiden konnte, war wie ein Wunder und wohl nur der zahlenmäßigen Übermacht der Großen Armee zu danken. Aber das Gefecht half dem Gegner Zeit zu gewinnen und in und bei der großen Stadt Smolensk Stellungen zu beziehen, von wo aus er der heranmarschierenden Armee Napoleons die Stirn bieten wollte.
    Als die Türme auf der Stadtmauer von Smolensk und die russischen Streitkräfte auf den Höhen gegenüber der Stadt sichtbar wurden, verließ Felix Gerters Seite und ritt zurück zum Wagen der Marketenderin.
    »Der Herr Oberleutnant bittet Sie, hier Halt zu machen«, forderte er sie auf. »Sie sollen sich Ihr Kleid nähen und warten, bis Smolensk erobert worden ist.«
    »Aber wenn uns die Russen angreifen?« fragte Juliane unruhig.
    »Das werden sie nicht tun. Sie befinden sich in der Stadt und hinter der Stadt und warten darauf, daß wir diese stürmen. Reine Verteidigungstaktik, sagt der Herr Oberleutnant. Der Kaiser hat gerade die Stellungen angeordnet«, antwortete Felix. Kanonendonner verschluckte seine Worte.
    »Was?« rief Juliane, die zugleich entsetzt und fasziniert wie vom Rang eines Amphitheaters nach Smolensk hinüberblickte. In langen Reihen rückten die Truppen der Großen Armee langsam auf die Stadt zu.
    »Die Württemberger bilden den äußeren linken Flügel des Heeres und haben den Auftrag, erst die Vorstadt auf dieser Seite des Flusses und dann die auf der anderen im Sturm zu nehmen!« brüllte Felix. Er zog ein längliches Gerät aus seiner Tasche und reichte es ihr.
    »Mit schönem Gruß vom Herrn Oberleutnant. Wenn Sie mit Ihrem neuen Kleid in Smolensk einfahren, sollen Sie

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