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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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es ihm zurückgeben.«
    Es war Gerters Fernrohr. Juliane setzte es sofort ans Auge und suchte die Gegend ab, in der Felix die Württemberger vermutete.
    »Auf jeden Fall hier bleiben!« forderte Felix sie noch auf, bevor er davonritt.
    Juliane begriff, daß es gar nicht so einfach war, ein Fernrohr zu handhaben. Entweder sah sie nur den Himmel oder die Grashalme vor sich oder ein unscharfes Gewusel von Uniformen. Ich brauche einen ruhigen Punkt, dachte sie, und fand ihn mit bloßem Auge hinter den vorwärts stürmenden Württembergern. Sie peilte den Punkt an, stellte das Rohr ein und ließ es im selben Moment fallen. Das durfte nicht wahr sein!
    »Jakob!« rief sie in panischer Angst, wandte sich um und hob die Flappe von der Plane des Wagens. Der Junge saß nicht mehr auf den Hafersäcken. Er mußte sich davongeschlichen haben, als sie mit Felix sprach. Wie war er so schnell zu den Württembergern gekommen? Mit zitternden Fingern hob sie wieder das Fernrohr ans Auge und sah, daß Jakob gerade einem offensichtlich niedergestreckten Trommler sein Instrument abnahm, es sich selber vorband und losrannte.
    Juliane bedachte sich nicht lange. Egal, ob ihr Wagen ausgeraubt wurde, egal, ob sie sich selber in Gefahr brachte. Sie mußte den Jungen zurückholen. In Windeseile nahm sie ihr Pferd aus dem Geschirr, schwang sich drauf und jagte davon. Sie hatte die letzten Reihen der Stürmer schnell erreicht, achtete nicht darauf, daß um sie herum Geschosse pfiffen und wisperten, Rottenfeuer ratterten, Granaten explodierten und Männer umfielen. Soldaten brüllten sie an und sahen entsetzt auf die offensichtlich verrückt gewordene Frau, die mit wehenden Haaren und gebauschtem Rock auf ihr Pferd eindrosch, bis es, von einer Kugel getroffen, stürzte und sie abwarf. Sie war unverletzt, wischte sich den Dreck aus den Augen und rannte weiter nach vorn, von wo das dumpfe Tamtatatam der Trommeln kam.
    »Jakob, Jakob!« brüllte sie, bis sie heiser war und kein Laut mehr aus ihrer Kehle kam. Vor ihr schlug eine Granate ein, wirbelte Erde und Staub auf. Sie warf sich zu Boden und blickte, als sich die Wolken des Pulverdampfs verzogen hatten, in die offenen Augen des Soldaten, der halb auf sie gefallen war. Sie erkannte Mössners Freund, Franz Ziegler, dem die Granate den Unterleib weggerissen hatte. Sie erbrach sich, wischte sich mit der Hand den Mund ab, griff nach dem Gewehr neben Ziegler und rannte stolpernd weiter, bis auf einmal die ganze Welt explodierte und sie das Bewußtsein verlor.
    Die Große Armee benötigte drei Tage, um Smolensk einzunehmen, ein Kampf, der nicht minder blutig ablief als eine offene Feldschlacht. Von Napoleons Truppen starben 15.000 Mann, die Württemberger beklagten 684 Tote, darunter auch einen zwölfjährigen Trommler, der bei dem Sturm auf die Vorstadt im Dnjepr ertrunken war, weil er nicht schwimmen konnte.
    Juliane kam erst wieder zu sich, als ihr Wagen vorbei an ausgebrannten, zum Teil noch rauchenden Palästen und Bürgerhäusern über das Pflaster der Stadt ratterte. Sie öffnete die Augen, wußte nicht, wo sie sich befand und was geschehen war. »Hilfe!« rief sie schwach.
    Der Wagen hielt an und jemand blickte ins Innere. Mit Mühe erkannte sie Felix.
    »Ich bringe Sie zu Ihrem Mann ins Spital«, sagte er ruhig. »Da wird für Sie gesorgt werden.«
    Er wandte sich wieder um und lenkte den Wagen weiter. Welch ein Glück diese Frau hat, dachte er, aber wie wird sie reagieren, wenn sie hört, daß ihr Mann schwer verletzt wurde, als er zurückgeeilt ist, um sie aus der Schußlinie zu ziehen? Was hatte sie überhaupt bei den Kämpfenden zu suchen gehabt?
    Er selber war wenige Minuten, nachdem Juliane durchs Fernrohr Jakob erkannt hatte, zu dem verwaisten, pferdelosen Marketenderwagen zurückgeritten und hatte beschlossen, ihn zu bewachen, weil er keine Ahnung hatte, wo er die Assenheimerin und Jakob suchen sollte.
    Gerter hatte ihn einen Tag später dort entdeckt und aufgefordert, sein Pferd anzuspannen und mit dem Wagen in die Nähe des Flusses zu fahren. Dort hatte er Juliane und Matthäus gefunden, reglos, aber noch lebend. Gerter sagte ihm auch, was aus Jakob geworden war, verschwieg aber, daß der Junge hätte gerettet werden können. Georg Mössner, mein eigen Fleisch und Blut, der Sohn meiner Schwester, hat dieses Leben ebenso sicher beendet, als hätte er den Jungen eigenhändig erschossen, dachte Gerter beschämt. Korporal Koch hatte genau beobachtet, was geschehen war und es Johannes mit

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