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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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sengender Sonne, von dichten Staubwolken umhüllt, auf der breiten Straße Richtung Moskau. Der Feind blieb seiner Taktik treu, setzte alle Dörfer und Städte auf der Route in Brand und zerstörte alle Brücken. Halb verhungert und verdurstet zogen die Soldaten weiter, stürzten sich auf jeden Brunnen in Sichtweite und schlugen beim Kampf um den letzten Tropfen Schlammwasser ihre Kameraden bewußtlos.
    Als die württembergische Infanterie am 5. September am Fluß Moskwa nahe dem Dorf Borodino ankam, bestand sie nur noch aus 1000 waffenfähigen Leuten. Außer Hunger, Durst und Erschöpfung hatten die Ruhr und andere Seuchen unzählige Offiziere und Soldaten auf dem Weg dahingerafft.
    Gerter stellte fest, daß sich einige Kompanien auf drei oder fünf Mann dezimiert hatten, andere nur noch aus zehn bis höchstens zwanzig Soldaten bestanden.
    »Wenn ich doch nur mitkämpfen könnte!« rief Matthäus verzweifelt, als Johannes ihm mitteilte, daß nicht nur die russische Heeresmacht in Sichtweite wäre, sondern Napoleon innerhalb weniger Stunden unter großen Verlusten eine Schanze gestürmt und eingenommen hätte. Johannes hatte das blutige Gemetzel, bei dem – wie auch bei beinahe allen anderen Gefechten der letzten Zeit – keine Gefangenen gemacht wurden, schaudernd miterlebt.
    »Du solltest froh sein, daß dir diese Schlacht erspart geblieben ist«, sagte er ehrlich zu Matthäus. »Ich fürchte nämlich, Napoleon verliert langsam die Übersicht.«
    Er berichtete, daß er vor einer knappen Stunde selbst mit angehört hatte, wie der Kaiser bei der Musterung des 61. Regiments, das am Vortag die Schanze erstürmt hatte, den Oberst gefragt hatte, warum denn eines seiner Bataillone fehle.
    »Sire, es liegt in der Schanze«, hatte der Oberst geantwortet, wozu Napoleon nur teilnahmslos genickt hatte.
    »Dabei war es völlig unsinnig, die Schanze zu erobern«, erregte sich Johannes. »Die Männer werden uns fehlen, wenn morgen die große Schlacht stattfindet.«
    »Und die ist weniger unsinnig?« fragte Juliane. »Ich denke, wir wollen nur so schnell wie möglich nach Moskau kommen? Wir stehen doch praktisch vor den Stadttoren! Warum muß dann wieder gemordet werden?«
    »Weil diesmal die Russen angreifen werden«, erwiderte Gerter.
    Aber er irrte sich. Im Morgengrauen des nächsten Tages las Generalmajor von Hügel den drei Württemberger Bataillonen Napoleons Heeresbefehl vor.
    »Soldaten! Die Schlacht ist vor euch, die ihr so lange ersehnt habt. Von euch hängt nun der Sieg ab. Wir bedürfen seiner; er wird uns Überfluß, gute Winterquartiere und glückliche Heimkehr ins Vaterland gewähren. Kämpft wie vor Smolensk. Die entfernteste Nachwelt möge euer Verhalten an diesem Tage mit Stolz erwähnen und möge von euch sagen: Dieser war auch bei jener großen Schlacht vor den Mauern Moskaus!«
    Die württembergische Antwort: »Es lebe unser König!« wurde tausendstimmig vom französischen »Vive l'Empereur!« übertönt.
    Glühend rot war die Sonne aufgegangen, Napoleon deutete auf den Feuerball, rief: »Das ist die Sonne von Austerlitz!« und gab das Zeichen zum Angriff.
    Wenn er schon nicht mitkämpfen konnte, dann wollte er die Schlacht wenigstens beobachten. Matthäus erinnerte sich, im Inneren des Marketenderwagens Gerters Fernrohr gesehen zu haben. Er wußte nicht, wie es dorthin gekommen war und ob es Gerter fehlte, ihm aber war es zu diesem Zeitpunkt hochwillkommen.
    Er forderte Juliane auf, den Wagen zu einer Anhöhe zu lenken, die weit genug von den Gefechten entfernt lag, um nicht miteinbezogen zu werden, von der aus man aber einen Überblick über das Kampfgeschehen hatte.
    Juliane hielt den Wagen im Schatten einer Weide an, sprang vom Bock und band das Pferd an den Baum. Als sie sich wieder umwandte, fiel ihr Blick auf Matthäus, der, gegen den Wagen gelehnt, sich mit einer Hand auf einen Stock stützte und mit der anderen das Fernrohr ans Auge hielt.
    Ein markerschütternder Schrei entfuhr ihr. »Jakob!«
    Sie wußte jetzt, wer ihr die ganze Zeit gefehlt hatte, sie wußte jetzt, was sie an der Front zu suchen gehabt hatte, sie wußte jetzt, warum ihr niemand etwas gesagt hatte. Jakob war tot!
    Wie irre geworden sprang sie auf Matthäus zu und schüttelte ihn so heftig, daß ihm das Fernrohr aus der Hand fiel und den Hügel hinunterrollte.
    »Was habt ihr mit Jakob gemacht?« brüllte sie. »Wo ist der Junge!«
    Erbleichend zog der Korporal seine Frau an sich. Sie riß sich so heftig los, daß Matthäus zu

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