Die Marketenderin
gegeben. Sie zogen sich zurück, und im Galopp rückten zwei Pieçen der reitenden Artillerie vor, die mit einigen Schüssen den regellosen Haufen zerstreute. Gegen Mittag, den 14. September, zog der Kaiser, an der Spitze seiner Garden, ein. Alle anderen Truppen-Corps, die vor der Stadt bivouakirten , blieb der Einzug bis zum 19. September verboten. Das 4te Corps, unter dem Vicekönig von Italien, war von diesem Befehl ausgeschlossen; es zog am 15. September in Moskau ein. Schon standen einige Magazine in Flammen, die die abziehende russische Nachhut angezündet hatte. Die Franzosen waren dergleichen vom Niemen an gewohnt und empfanden darüber keine besondere Besorgnis. Als sie sahen, daß alle Häuser, in denen sie sich militärisch einquartirten , von Bewohnern leer waren, ergriff Staunen ihre Herzen. Von den mehreren hunderttausend Bewohnern dieser Stadt waren, außer den zahlreichen deutschen und französischen Familien, nur Greise, alte Weiber und männliches und weibliches Gesindel, das nichts zu verlieren hatte, im ganzen kaum 20.000 Personen, zurückgeblieben. In den Spitälern fand man gegen 4000 schwerverwundete und kranke Militärs, die nicht transportirt werden konnten. 17.000 verwundete und kranke Russen wurden die Tage vorher auf 4000 Wagen abgeführt.
Johannes hatte Juliane geraten, nicht gleich mit den ersten Truppen in die Stadt zu ziehen, sondern mindestens einen Tag zu warten.
»Es heißt zwar, daß die meisten Bewohner aus Moskau geflüchtet sind, aber das könnte auch ein absichtlich gestreutes Gerücht sein, um unsere Soldaten in die Stadt zu locken und dann niederzumetzeln«, erklärte er.
Johannes Gerter fand es beunruhigend, daß sich die Russen nach der Schlacht von Borodino nicht mehr hatten sehen lassen, wenn man von ein paar verstreuten Einheiten absah, die sich unbedeutende Scharmützel mit Napoleons Armee geliefert hatten. Er besprach sich mit Oberst von Röder, der ihm die Weisung gab, hinter Napoleons Garden in die Stadt einzureiten und die Lage zu erkunden. Gerter sollte herausfinden, wo die württembergische Division untergebracht werden sollte, ob genügend Vorräte vorhanden waren und dann zurückkehren und ihm Bericht erstatten.
Da Juliane wußte, daß Gerter nach seiner Rückkehr aus der Stadt als erstes Oberst von Röder aufsuchen würde, sorgte sie dafür, ihren Wagen in der Nähe seines Lagers auf einer der Anhöhen vor der Stadt aufzustellen. Sie hatte nichts mehr zu verkaufen und keine Getränke mehr anzubieten. Deshalb erschien es ihr unsinnig, das Marketenderzelt aufzubauen.
»Ich muß Ware kaufen«, sagte sie zu Matthäus, der mit steif ausgestrecktem Bein an einen Baum gelehnt saß.
»Du gehst auf keinen Fall nach Moskau!« rief er erschrocken.
»Das habe ich auch nicht vor. Es muß hier in der Nähe doch Bauern und Händler geben.«
Sie schüttelte die Goldpuppe, obwohl sie wußte, daß deren Bauch neben dem Kettchen von Ohnesorg noch genau 11 Goldstücke enthielt. Eine ganze Menge, aber das Gold hatte ihr in den Tagen der leeren Brunnen und abgebrannten Dörfer auch nicht weitergeholfen. Es hatte auch Jakob nicht am Leben erhalten. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um das Schicksal des Jungen, aber der Schmerz saß so tief, daß sie mit niemandem darüber sprechen konnte und seinen Namen nicht mehr erwähnte.
»Ich will nicht, daß du zu irgendwelchen Russen gehst. Außerdem wissen wir nicht, ob Kutusows Armee hier irgendwo lauert!«
»Die hat sich ziemlich weit zurückgezogen, Korporal. Davor müssen wir uns zunächst nicht fürchten«, erklang eine Stimme hinter ihm. Mit der Pfeife im Mund näherte sich Oberst von Röder, sagte: »Bleiben Sie sitzen, Korporal!« zu Matthäus und zu Juliane: »Nicht mal mehr einen Fingerhut Branntwein?«
Juliane zögerte. Natürlich hatte sie noch einen winzigen Vorrat, aber der war für besondere Zweck und besondere Gäste reserviert. Andererseits sprach Johannes immer in höchsten Tönen von dem Oberst, war mit ihm sogar ein bißchen befreundet, wie es schien. Und der Oberst befand sich in recht guter Stimmung, es konnte nicht schaden, ihm entgegenzukommen.
»Mehr als ein Fingerhut, Herr Oberst, aber sagen Sie's bitte nicht weiter«, beschwor sie ihn und lud ihn ein, auf der schmalen Holzkiste Platz zu nehmen, die neben dem Wagen stand.
»Was macht Ihr Bein, Korporal?« fragte der Oberst.
Mühsam richtete sich Matthäus auf und lief ohne Stock leicht humpelnd ein paar Schritte.
»Sie sehen, Herr Oberst, es
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