Die Marketenderin
fremden Auftrag ein friedliebendes Land überfallen?«
Es dauerte einen Moment, bis Juliane den Sinn seiner Worte erfaßte. Er gehörte nicht zu ihnen, war ganz offensichtlich weder Soldat noch Marketender, ein Württemberger, aber er stand auf Seiten der Russen. Und er blickte ganz unverhohlen auf ihre nackte Brust.
»Einen Augenblick«, sagte sie so gelassen wie möglich, rutschte vom Bock, stieg in den Wagen und holte sich ihren verschlissenen Umhang.
»Schade«, sagte der Mann. »Könntest du mir für den erwiesenen Dienst diesen göttlichen Anblick nicht ein wenig länger gönnen?« Leider kann man sich seine Lebensretter nicht aussuchen, dachte Juliane, bewegte die Schultern, daß der Umhang ein wenig nach unten rutschte und etwas mehr Haut freigab.
»Du bist auch aus Moskau geflüchtet?« fragte er vertraulich, als er sich neben sie auf den Bock setzte und die Zügel ergriff. Sie schüttelte stumm den Kopf. Er sah sie von der Seite her scharf an, pfiff dann durch die Zähne und nickte.
»Marketenderin der Feindestruppe, habe ich recht?«
Sie antwortete nicht.
»Na, dann bring ich dich am besten zu deinen Leuten zurück, obwohl du, wie du siehst, vor denen mehr Angst haben mußt als vor den Russen.«
»Wer sind Sie?« fragte Juliane.
»Dr. Schmidt heiße ich in Moskau, wo ich wohlgelitten bin, Leppich hieß ich daheim, wo man mich übel behandelte.« Er wendete den Wagen. »Euer edler König Friedrich hat mich höchstpersönlich aus dem Schwabenländle gejagt und jetzt habe ich wunderbar Rache genommen.« Er deutete zum goldroten Lichtschein, der hinter dem Hügel den Weg nach Moskau wies.
»Ich habe einen Feuerball aufsteigen lassen, der das Land weit umher erhellt, Verderben auf Napoleon und seine Räuberscharen wirft und König Friedrichs Beute verbrennt.«
Über sein gemütliches, leicht gerötetes Gesicht ging ein fröhliches Leuchten.
Entsetzt sah ihn Juliane an. Sie saß neben einem Verrückten! In normalem Konversationston fuhr er fort, ohne sie auch nur anzusehen: »Keine Angst, ich bin nicht wahnsinnig. Du hast jetzt doch nichts Besseres zu tun, also hör dir meine Geschichte an und erzähle sie den Soldaten, die bei dir viel zu teuren Branntwein trinken. Ich bin erst seit wenigen Monaten in Moskau, aber die wichtigen Leute haben schnell erkannt, was sie an mir haben. So bat mich der Gouverneur von Moskau, Graf Rostpotschin, um Hilfe, als eure Truppen näher rückten. Du mußt wissen, daß ich Chemiker bin und am liebsten mit Feuer experimentiere. Was mir der Schwabenkönig übelnahm, machte mich zum großen Mann in Moskau. Leider blieb mir diesmal keine Zeit, ein wirklich effektvolles Feuerwerk in Szene zu setzen. Aber ich bin mit meiner Arbeit trotzdem ganz zufrieden. Meine Höllenmaschine hat sich bewährt. Eine phantastische Explosion! Hast du sie auch so genossen? Ich sage ja immer, Feuer ist die wahre Leidenschaft des Menschen!«
Er warf einen Blick auf Julianes gerade noch sichtbaren Busenansatz. »Hast du dir nie überlegt, warum in Liebesdingen so oft von Feuer und Flammen die Rede ist? Ab igne ignem! Das verstehst du natürlich nicht. Aber daß wir die Stadt angezündet haben, das weißt du jetzt! Natürlich haben wir alle Löschgerätschaften weggebracht oder zerstört. Es sollte dem Feind schließlich nicht zu leichtgemacht werden.«
Er deutete hinter sich und lachte.
»Leider haben eure Banden noch nicht versucht, sich an meinem Besitz zu vergreifen. Wenn sie's tun, wartet nämlich eine schöne Überraschung auf sie. Eine hübsche kleine Explosion, die die Eindringlinge zerreißen wird, bevor sie überhaupt in die Nähe meines Hauses kommen.«
Er kicherte spitzbübisch.
»Vielleicht ist es besser, wenn Sie nicht bis zum Lager mitfahren«, sagte Juliane und hoffte, daß ihre Stimme nicht zu schrill klang.
»Du meinst, weil man mich sonst schnappen wird? Nett, daß du so besorgt um mich bist. Aber ich möchte ja zu eurem Lager fahren, ich möchte, daß meine Landsleute später sagen können, sie haben den Leppich gesehen, den Brandstifter von Moskau.«
»Welch seltsame Eitelkeit«, konnte sich Juliane nicht verkneifen zu sagen.
»O nein, meine Liebe, das ist Teil meiner Rache.«
Schweigend setzten sie die Fahrt fort und als sie beim Lager ankamen, zog Leppich vor Matthäus und dem Oberst den Hut und schlenderte fort, ohne einen Laut von sich zu geben.
»Schon zurück?« fragte der Oberst und Matthäus deutete auf die weißgekleidete Figur, die zwischen den Bäumen
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