Die Marketenderin
entschlossenes Gesicht sah, schüttelte er nur bekümmert den Kopf und fügte resignierend hinzu: »Wenn's schon sein muß, nimm wenigstens Felix mit!«
Sie klopfte auf ihren Rock, da wo die Pistole verborgen war.
»Ich weiß mich zu schützen.«
»Bitte, Herr Oberst, sprechen Sie ein Machtwort! Sagen Sie meiner Frau, daß es für eine Frau jetzt lebensgefährlich ist, allein loszuziehen.«
»Es ist für eine Frau jetzt lebensgefährlich, allein loszuziehen«, wiederholte Eugen von Röder gehorsam und fügte hinzu: »Es ist überhaupt für jeden lebensgefährlich, bei diesem Feldzug mitzumachen. Aber das haben Sie jetzt nicht gehört, Korporal.«
Ich verstehe, warum Johannes ihn so mag, dachte Juliane, sagte, ohne es zu meinen: »Ich werde Felix suchen«, setzte sich auf den Bock und verschwand mit ihrem Wagen.
Froh, endlich allein zu sein, schlug sie einen Feldweg in südöstlicher Richtung ein, sah die Feuer von zahlreichen Soldatenbiwaks und hielt sicherheitshalber die rechte Hand in der Rocktasche. Sie begriff, daß sie sich sehr weit von Moskau würde entfernen müssen, um Nahrungsmittel aufzutreiben, denn die Soldatenlager erstreckten sich über eine unübersehbar weite Fläche, bedeckten alle Anhöhen vor der Stadt.
Wenn es in der Nähe nur irgend etwas Eßbares gegeben hatte, so war es sicherlich schon längst verzehrt. Es war wirklich unsinnig gewesen, zu denken, daß sie etwas finden würde. Sie mußte warten, bis der Brand in Moskau gelöscht war und sie in die Stadt konnte. Geröstete Hühner wird's da wohl genug geben, dachte sie zornig. Als sie feststellte, daß sie sich den Ellenbogen schon blutig gekratzt hatte, beschloß sie, lieber unverrichteter Dinge zurückzukehren.
Irgendwo mußten ja auch die russischen Truppen sein, und bei dem Gedanken, ihnen in die Hände zu fallen, verlor sie das letzte Quentchen Mut.
Was dann geschah, ging so schnell vor sich, daß sie sich später nicht mehr genau erinnern konnte.
Sie hatte ihren Wagen noch nicht gewendet, als aus dem Gebüsch am Wegesrand mit lautem Geheul zwei Gestalten stürzten, ein Mann zu ihr auf den Bock sprang und sie um die Mitte faßte. In Panik schlug sie um sich und schrie laut um Hilfe. Ein heftiger Schlag ins Gesicht ließ sie verstummen. Sie schmeckte Blut und erstarrte vor Angst. Sie zwang sich klar zu denken. Das habe ich doch schon mal erlebt, fuhr es ihr durch den Kopf. Der andere Mann war in den Wagen gestiegen und wühlte laut pfeifend in ihren Sachen herum. Die Goldpuppe, dachte sie verwirrt, hoffentlich stiehlt er nicht die Goldpuppe! Sie erinnerte sich jetzt wieder an die Fahrt durch Stuttgart, als württembergische Soldaten sie belästigt hatten. Aber die waren betrunken gewesen und dieser Mann neben ihr war nicht nur nüchtern, sondern mindestens einen Kopf größer als sie. Selbst wenn sie jetzt nicht vor Angst wie gelähmt gewesen wäre, hätte sie sich nicht gegen ihn zur Wehr setzen können.
Mit der Rechten hielt der Mann sie in einem eisernen Griff, mit der Linken zog er die Zügel an. Der Wagen kam zum Stehen.
Er sagte etwas in einer ihr unverständlichen Sprache, von der sie nur wußte, daß es kein Französisch und kein Russisch war, riß ihr mit einem Ruck das Kleid von der Brust und barg seinen Kopf an ihrem Busen. Jetzt, dachte sie verzweifelt, muß ich selber was tun, niemand wird mich und meine Goldpuppe retten! Mit ihrer rechten Hand griff sie in ihre Rocktasche, zog den Hahn der Pistole nach hinten, riß sie heraus und schoß den Mann in den Rücken.
Der Schuß gellte noch in ihren Ohren, als der andere Soldat sie von hinten packte. Jetzt sterbe ich, dachte sie auf einmal ganz ruhig und spürte, wie ihr die Luft abgeschnürt wurde. Aber ganz plötzlich konnte sie wieder frei atmen, war die Hand um ihre Kehle verschwunden. Sie blickte auf, sah vor sich auf der Straße einen kleinen runden Mann mit Hut und weißem Anzug, der eine noch rauchende Pistole in der Hand hielt und ihr so aufmunternd zulächelte, daß sie glaubte, sich in einen Traum verirrt zu haben. Er kam näher und sprach sie auf Russisch an.
»Danke«, sagte sie nur auf deutsch, »danke, aber leider versteh ich kein Wort!«
»Na, gibt's denn das! Ein Schwabenmädel!« rief der Mann in breitestem Schwäbisch, während er den toten Mann vom Bock nahm und zu dem anderen Soldaten legte, den der Schuß vom Wagen gefegt hatte.
»Portugiesen«, sagte er verächtlich, »der verdiente Lohn. Was kann man schon anders von Leuten erwarten, die im
Weitere Kostenlose Bücher