Die Marketenderin
aber die Wodkaflasche des Russen, und die sorgte dafür, daß sie bei Einbruch der Nacht trotz nicht nachlassenden Kanonendonners dicht aneinandergekuschelt einschliefen.
Schwer verkatert wachten sie noch vor dem Morgengrauen auf, sahen sich zunächst erschrocken an, lachten dann verlegen, schüttelten einander die Hände und schieden als Freunde. Natürlich hatte Mössner nicht erzählt, daß er sich vor dem Gefecht gedrückt hatte, aber in den Tagen danach sprach er immer wieder von den Ungerechtigkeiten dieser Welt.
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Napoleon, der Marschall und die anderen Generäle vor gebratenen Tauben, feinen Kuchen und einer ganzen Batterie von Getränken saßen, während wir beinahe des Hungers sterben«, log er seiner aufmerksam lauschenden Schar vor.
»Was haben sie denn zu dir gesagt, als du so nahe gekommen bist?« fragte einer.
»Oh, der Marschall hat mich sofort erkannt und mich aufgefordert zuzugreifen, aber ich habe dankend abgelehnt.«
»Aber warum?!« kam es unisono von den Rekruten.
»Weil ihr genauso hart kämpft wie ich. Ich hätte mich geschämt, mir den Magen vollzuschlagen. Das wäre wie ein Verrat euch gegenüber gewesen.«
»Du hättest ja fragen können, ob du uns etwas mitnehmen könntest«, warf ein junger Soldat mit einer Hasenscharte ein.
Mössner sah ihn beinahe wütend an.
»Um Almosen betteln? Dafür sind wir doch zu stolz. Aber das verstehst du nicht, du bist ja schon froh, wenn einer dich überhaupt beachtet.«
Er kehrte schnell zu seinem Thema zurück, daß sie jetzt schon in die Stadt einfallen und sich aller Reichtümer, Frauen und Nahrungsmittel bemächtigen sollten, deren sie habhaft werden könnten.
»Und wie kommen wir an den Wachen an den Toren und auf den Straßen vorbei?« fragte ein Soldat.
Mössner lachte und deutete zu dem glühend roten Schein, der von der Stadt kam.
»Schaut doch rüber. Moskau brennt! Wahrscheinlich von den Russen genauso angezündet wie all die Dörfer, durch die wir gekommen sind. Wir können in aller Ruhe unseren Lohn einsammeln. Wer jetzt offiziell in der Stadt ist, wird Feuer löschen, das könnt ihr mir glauben.«
Die Soldaten, denen bei seiner Beschreibung der Leckerbissen auf Napoleons Tafel schon das Wasser im Munde zusammengelaufen war, glaubten es ihm gern. Mit dem gestohlenen Wagen einer holländischen Marketenderin gelangten sie in einen Vorstadtbezirk, der vom Feuer verschont geblieben war. Mössner hatte recht gehabt, niemand stellte sich ihnen in den Weg. Sie waren bei weitem nicht die einzigen.
Wie ein Strom ergossen sich ganze Abteilungen der Großen Armee in die Stadt, um sich Lebensmittel und die lang ersehnte Beute zu sichern.
Soldaten aus sechzehn verschiedenen Nationen brachen in Keller und Gewölbe ein und berauschten sich an den starken fremden Weinen, stürzten dann wieder hervor, durchsuchten Häuser und Paläste, ja, sogar Grüften und Kirchen nach Kostbarkeiten.
Sie mißhandelten zurückgebliebene Bewohner, bis diese die versteckten Kostbarkeiten rausrückten, mordeten jene, die Widerstand leisteten, vergewaltigten Frauen und Mädchen, fühlten sich als Herren über Tod, Leben und Besitz und zweifelten nicht im geringsten daran, daß sie ungestraft davonkommen würden.
Wer sollte sie zur Rechenschaft ziehen, welches Gericht? Wenn wieder Ordnung eingekehrt war, würde man nicht einmal mehr sagen können, welche Soldaten aus welchem Regiment oder welchem Land Greueltaten verübt hatten. Im Zweifelsfall würde man die Schuld einer anderen Nation in die Schuhe schieben und die eigenen Soldaten dafür belobigen, daß sie so unermüdlich beim Löschen des Brandes mitgearbeitet hatten.
Johannes Gerter lebte zwar noch, aber er sah keine Möglichkeit mehr, mit heiler Haut aus der Stadt zu entkommen. Er stand auf der breiten Treppe eines Palasts im Zentrum, auf der anderen Seite der Moskwa, aber nahe dem Kreml, von wo aus Napoleon wahrscheinlich das entsetzliche Schauspiel auf den Straßen und Plätzen beobachtete.
Ein wogendes und zischendes Flammenmeer kam auf ihn zu und von seinem etwas höheren Standpunkt aus sah sich Johannes verzweifelt nach einem Ausweg um. Überall versperrten Feuer den Weg. Es herrschte ein unglaublicher Lärm. Kreischende Menschen stießen und schlugen sich, Hunde bellten, Hähne krähten und mit lautem Donnern fielen eiserne und kupferne Dachpfannen auf Flüchtende.
Das Holzhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite fiel krachend in sich zusammen und ein
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