Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
herabstürzender Balken erschlug zwei Kinder, die, sich an den Händen haltend, versucht hatten, um einen ins Stocken geratenen Wagen herumzugehen.
    Gerter blickte wie wild um sich, hörte einen entsetzlichen Schrei und sah, wie aus dem Fenster eines anderen Holzhauses eine Frau mit einem Kind im Arm zehn Meter in die Tiefe sprang und reglos liegenblieb.
    Ein Soldat der Großen Armee beugte sich über die Frau, riß ihr die Goldkette mit dem Kreuz vom Hals und machte sich an ihren Fingern zu schaffen. In dem Augenblick stürzte auch dieses Haus ein und begrub die tote Frau, das Kind und den Plünderer unter sich. Unerträgliche Hitze nahm Gerter die Luft zum Atmen. Er hastete die Treppe weiter hinauf und fand den Palast abgesperrt.
    Er wandte sich wieder um, sah unter sich Szenen, die Dantes Hölle entsprungen sein könnten. Wo es nicht lichterloh brannte, hüllten Staub- und Rauchwolken die davonjagenden Menschen ein, und wie in einem Traum, in dem alles undeutlich erkennbar ist, sah Johannes den Schemen einer vertrauten Uniform; er blinzelte, hielt sich die Hand vor die Augen und dachte: Der mit dem vollen Handkarren, das ist doch der Georg, wie will der dieser Hölle entkommen? Er brüllte zu dem Schatten hinüber: Sein Ruf kam nicht an, und die Uniform versank in einer Staubwolke.
    Irgendwie muß ich hier rein, dachte Johannes verzweifelt und schlug mit der Faust gegen die dicke Steinmauer des Palasts. Drinnen bin ich vor den Flammen sicher und muß nur noch den Rauch fürchten. Er blickte nach oben, sah, daß er sich an dem mit reicher Holzschnitzerei verzierten Portal nach oben hangeln könnte, bis zu einem Sims, von dem aus ein Fenster zu erreichen war.
    Wenn er stürzte, würde er sich wohl das Genick brechen, aber es blieb ihm keine Wahl. Doch seine schweißnassen Hände glitten von den Holzschnitzereien ab. Er entsann sich seiner zwei Messer, hieb eins bis zum Schaft in die Tür, zog sich am Griff nach oben, wo er die Prozedur mit dem zweiten Messer wiederholte.
    An allen Gliedern zitternd stand er schließlich auf dem Sims und schlug das Fenster mit dem Gewehrlauf ein. Er stürzte auf einen Marmorboden, der seine glühenden Wangen kühlte. Erst langsam kam er wieder zu Sinnen.
    Fürs erste gerettet, dachte er, hörte Fensterscheiben zerbersten, fühlte, wie die Hitzewelle ihn einholte, sprang auf, eilte durch den großen Saal in die Zimmerfluchten dahinter, bis er zu einem Fenster kam, das auf einen großen ummauerten Garten blickte, in dem nur vereinzelte kleine Feuerchen glühten.
    Ein Wasserbecken mit Seerosen und Lilien unterhalb des Fensters zog seine Blicke magisch an. Wasser, dachte er, und zum ersten Mal keimte in ihm die Hoffnung auf, daß er die Feuersbrunst überleben könne. Er stieg eine schmale Hintertreppe hinunter, immer tiefer, bis er in ein Kellergewölbe kam, dessen wohltuende Kühle ihn willkommen hieß. Wenn das die Assenheimerin sehen könnte, dachte er, als er die endlosen Reihen von Vorräten sah – geräucherte Schweinebäuche, Obst in Gläsern, lange Ketten von Würsten, hängende Schinken, getrocknete, mit Salz eingeriebene und marinierte Fische, gebeiztes Wildbret, Pökelfleisch, Äpfel, Birnen, Zwiebeln und Kartoffeln auf Lattenbänken, Eier in Fässern mit Holzasche, Säcke mit feinem Mehl, Zucker, Getreide, fremdartige Obstsorten und noch viel mehr.
    Gerter nahm eine etwa kindskopfgroße Frucht in die Hand mit einer seltsamen stachlig-schuppigen Schale und einer grünen Krone und roch daran. Wie Honig, dachte er, wußte aber nicht, wie er die Frucht essen sollte oder was an ihr eßbar war, nahm sich ein Glas mit eingemachten Aprikosen und leerte es in Sekundenschnelle. Hastig zog er an einer Wurstkette, riß mit den Zähnen ungeduldig den Darm von einer Wurst und biß hinein. Mit der Wurst in der Hand wanderte er weiter und kam in ein Gewölbe mit Weinfässern und langen Reihen staubiger Flaschen. Wahllos griff er sich eine, schlug ihr den Kopf ab, ließ sich auf den Boden sinken und trank die Flasche in wenigen Zügen leer. Noch eine, dachte er, noch eine, aber als er aufstand, versagten ihm die Beine den Dienst. Er fiel um, stieß sich den Kopf am Hahn eines Weinfasses und verlor das Bewußtsein.
    Johannes Gerter hatte nicht Mössner von der Treppe des Palasts aus gesehen, sondern den Soldaten mit der Hasenscharte. Dieser hatte sich kurz nach dem Eintreffen in der Stadt mit Mössner ein Gefecht geliefert, weil er den Handkarren, den er in einem Hof gefunden hatte, nicht

Weitere Kostenlose Bücher