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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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heruntergerissen und sich über das inzwischen reglos daliegende Mädchen hergemacht hatte.
    Er schlich wieder in das Zimmer, schloß die Tür ab, nahm den Schlüssel aus der Brusttasche und riß die Schranktür auf.
    Mit weit geöffneten Augen fiel das Mädchen heraus. Fassungslos sah er sie an, empört, daß sie es gewagt hatte, vor Angst zu sterben, bevor er auf seine Kosten gekommen war. Er hatte so lange auf eine Frau gewartet und diese hatte fünf Minuten zuvor noch gelebt! Ist auch egal, sagte er sich trotzig, auch eine tote Frau ist eine Frau! In jenem Augenblick stahl sich ein roter Strahl der späten Nachmittagssonne ins Zimmer und fiel auf das Gesicht des Mädchens.
    Sommersprossen!
    Genauso zauberhafte Sommersprossen, wie Clärle sie hatte! Schwer atmend wich Mössner zurück, um Gottes willen, dachte er nur, um Gottes willen, was tue ich hier! Gier und Erregung waren verschwunden, er wachte wie aus einem langen Rausch auf.
    Mit fast zärtlichen Fingern schloß er dem Mädchen die Augen. Ihr Gesicht schien Clärles Züge anzunehmen, war genauso kindlich und unschuldig wie bei ihrer ersten Begegnung am Brunnen. Er hob sie auf und legte sie sanft auf eine gepolsterte Bank.
    Tränen stürzten aus seinen Augen, er warf sich der Länge nach auf den Boden, vergrub das Gesicht im staubigen Teppich und schlug mit den Fäusten auf den Boden. Was tue ich hier? Warum bin ich hier? Was ist bloß aus mir geworden! Man hat mich vergiftet! Mama, Mama, ich will nach Hause, Gott, hilf mir, ich bin ein Tier geworden, mach mich wieder zum Menschen!
    Als Johannes vier Tage später immer noch nicht aufgetaucht war, verlor Juliane alle Hoffnung. Von der Anhöhe aus hatte sie beobachtet, wie der Sturmwind am zweiten Tag immer neue Feuer in Moskau entfachte, gegen die selbst der inzwischen heftig gewordene Regen machtlos schien.
    Felix, der sich um seinen Herrn genauso sorgte wie sie, hielt es am Mittag des vierten Tages nicht mehr aus und verkündete, daß er in die Stadt reiten würde.
    »Ich komme mit«, erklärte Matthäus zu Julianes Entsetzen.
    »Bist du verrückt!« fuhr sie ihn an. »Mit deinem Bein kannst du keiner Schnecke entkommen, wie willst du da vor dem Feuer weglaufen!«
    Beim Gedanken, auch noch Matthäus in den Flammen zu verlieren, stockte ihr Herzschlag. Sie war selbst überrascht. Liebe ich ihn jetzt etwa?, fragte sie sich hoffnungsvoll. Ist die Liebe vielleicht doch auf Samtfüßchen in mein Herz geschlichen?
    »Nein, Rebläusele, ich bin nicht verrückt, aber ich werde es werden, wenn ich hier weiter im Schlamm sitze und nichts tue«, erwiderte er ruhig. »Schau dich doch um! Immer wieder gelingt es Leuten, mit vollen Wagen aus der Stadt zu kommen. Wann wollte der letzte Soldat bei dir etwas kaufen? Siebst du! Sie versorgen sich selbst und es wird höchste Zeit, daß wir das auch tun …«
    »Du willst doch nicht etwa meinen Wagen nehmen!« unterbrach sie ihn wütend.
    »Natürlich. Wie soll ich sonst die Waren transportieren?«
    »Der Herr Korporal hat recht, Assenheimerin. Die Soldaten sagen, in Moskau liegen die Vorräte auf der Straße! Sie kosten uns nichts und wir müssen sie nur aufsammeln, während wir den Herrn Oberleutnant suchen«, sagte Felix gelassen, wohl wissend, daß er zwei Köder ausgeworfen hatte. Ihm war nicht entgangen, daß die Assenheimerin für seinen Herrn mehr empfand, als für eine verheiratete Frau schicklich war, und eine Marketenderin, die ein kostenloses Angebot ausschlug, mußte er erst noch kennenlernen.
    Juliane biß nicht sofort an. Es schien ihr ausgeschlossen, in einer so großen, im Chaos versinkenden brennenden Stadt einen einzelnen Menschen auftreiben zu können.
    »Der Herr Oberleutnant und ich haben ein Abkommen. Wenn wir uns verlieren und er lebt …«, Felix schluckte, »dann soll ich ihn abends um acht beim Wasserturm an der Kremlmauer treffen.«
    »Was! Und da sind Sie noch hier!« Juliane war außer sich, aber Felix blieb ruhig, nahm sie am Arm und führte sie zu einer Stelle, von der aus die ganze Stadt zu überblicken war.
    »Sehen Sie all die Türme und Kuppeln da, ziemlich in der Mitte mit der Mauer drum herum, links vom Fluß? Das ist der Kreml. Bis heute war er vom Feuer eingeschlossen, aber wie Sie sehen, läßt der Brand allmählich nach. Als ich vorhin hörte, daß Napoleon wieder in den Kreml zurückgekehrt ist – er mußte auch vor der Hitze flüchten –, dachte ich mir, daß es Zeit ist, den Herrn Oberleutnant zu suchen.«
    »Welches ist der

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