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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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die Scheiben, die sie gerade von einem Honigschinken abgeschnitten hatte. Nein, das konnte nicht stimmen, der Krieg war doch so gut wie vorbei! Es war Napoleons Ziel gewesen, in Moskau einzumarschieren, und er hatte sein Ziel erreicht! Sie hatte selbst gesehen, daß über dem Kreml die französische Flagge wehte. Wie konnte der Krieg da noch weitergehen? Was mußte Napoleon noch erobern? Würden sie möglicherweise noch vor Wintereinbruch wieder aufbrechen und sich abermals auf so fürchterliche Märsche begeben müssen? Ging jetzt alles wieder von vorn los?
    »Was denkst du, Johannes?« fragte Matthäus und stand mühsam auf, als der Oberleutnant in den Laden trat. Erschrocken sah Juliane empor und begegnete seinem Blick. Er nickte ihr unbefangen zu und wandte sich wieder an Matthäus.
    »Aha, ihr habt es also schon gehört. Setz dich doch bitte, Matthäus, ich habe es auch erst gestern nacht erfahren, aber es kam nicht überraschend.«
    Gestern nacht, dachte Juliane schaudernd. Da kam wohl etwas anderes überraschend.
    Wütend säbelte sie wieder an dem Schinken herum.
    »Nicht?« fragte Matthäus verwundert.
    »Nein, Oberst von Röder hat dies vorhergesehen, er hat immer gesagt, Kutusow sei ein schlauer Fuchs, der nicht nur etwas von Strategie, sondern auch eine Menge von Politik verstehe. Kutusow erklärt, daß Moskau nicht erobert, sondern nur kurzzeitig von Napoleon besetzt wäre. Er könne Napoleon nicht daran hindern, zu behaupten, daß er sich Rußland unterworfen habe, ebenso wenig, wie er ihn daran hindern könne, zu behaupten, daß er die Schlacht von Borodino gewonnen habe, aber es gäbe keinen Russen, der diese Unterwerfung anerkenne und somit sei Napoleons Behauptung wertlos. Assenheimerin, gib mir doch bitte eine Scheibe Schinken.«
    Sie zuckte zusammen. Ohne ihn anzusehen reichte sie ihm das Gewünschte und achtete darauf, seine Hand nicht zu berühren. Fast verzagt fragte sie: »Heißt das, daß der Krieg wieder anfangen wird?«
    »Das heißt, daß der Krieg noch nicht aufgehört hat und das könnte heißen, daß sich Napoleon zurückziehen muß.«
    »Ein Rückzug! Das ist nicht dein Ernst!« Matthäus verschluckte sich an seinem Pfefferminztee.
    »Leider doch. Das Fest für heute abend habe ich bereits abgesagt. Der Oberst möchte mit einigen Offizieren über die neue Lage sprechen. Komm mit, Matthäus, wir fahren gemeinsam zu den Quartieren der Württemberger und informieren die Truppen.«
    Als die Männer gegangen waren, schloß Juliane den Laden von innen ab, hängte ein Tuch vors Fenster und setzte sich auf den Holzschemel hinter der Theke. Sie schraubte den Kopf ihrer Goldpuppe ab, schüttete den glänzenden Inhalt in eine große Schüssel und begann zu zählen. Das half immer, wenn sie aufgeregt oder nervös war. Jetzt war sie beides.
    Franziska Mössner wird die Puppe nie so voll gekriegt haben, dachte sie befriedigt, als sie den Kopf wieder befestigte und die Puppe in die Kiste unter der Theke zurücklegte. Darin lag noch etwas, ihre Handschrift, wie sie es nannte.
    Johannes hatte ihr vor einigen Tagen ein gebundenes Büchlein in die Hand gedrückt. Sie dachte, er erlaube sich einen Scherz mit ihr, als sie sah, daß es nur aus leeren Seiten bestand.
    »Du wirst die Seiten füllen«, hatte er ihr ernsthaft vorgeschlagen.
    »Womit denn? Ich kann doch gar nicht richtig schreiben!« hatte sie verblüfft geantwortet und an die tausend Bände in der Bibliothek gedacht, die von tausend klugen Männern geschrieben worden waren. Johannes erinnerte sie daran, daß er sie schon einmal aufgefordert habe ihre Gedanken zu Papier zu bringen, daß er aus Erfahrung wisse, wie dies Ordnung im eigenen Kopf schaffen und zu wichtigen Erkenntnissen führen könnte. Sie trage einen gescheiten Kopf auf etwas breiten, aber trotzdem hübschen Schultern, hatte er noch hinzugefügt und vielleicht würde ihr etwas einfallen, was des Aufschreibens wert sei.
    Als er gegangen war, wußte sie immer noch nicht, ob er sich über sie lustig gemacht hatte, aber sie freute sich über das ledergebundene Geschenk.
    Gleich am ersten Abend hatte sie sich hingesetzt und etwas hineingeschrieben, danach aber keine Zeit mehr gefunden, ihre Gedanken zu ordnen. Sie zog das Buch hervor und las ihre Eintragung: »Warum werden Männer Soldaten? Weil es Krieg gibt. Warum gibt es Krieg? Weil es der König so will. Warum will der König das so? Weil es ihm mehr Macht gibt. Warum will er mehr Macht? Weil er dann reicher wird. Warum will er

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