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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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das Mehl?« fragte Juliane überrascht.
    »Gekriegt«, antwortete Matka so wortkarg wie üblich.
    »Im Krieg gekriegt«, sagte Juliane bemüht fröhlich. »War Felix gestern nacht noch bei dir?«
    »Mein Geld.« Die Alte hielt eine Hand auf und Juliane gab ihr fünf Rubel.
    »Mehr.«
    »Mehr?!« Ihr Händlerherz empörte sich. »Was soll ich denn dann von den Kunden nehmen! Du bist jetzt schon überbezahlt!«
    Schweigend begann die Alte das Brot wieder in den Karren zu legen.
    »Also gut«, ärgerte sich Juliane, »sieben Rubel, aber das ist mein letztes Wort.«
    Matka legte das letzte Brot in den Karren und ihn vor sich herschiebend schlurfte sie zur Tür.
    »Neun Rubel!« rief ihr Juliane hinterher.
    Die Alte wandte sich um, öffnete die Hand und sagte: »Zehn.« Zähneknirschend zählte Juliane das Geld ab, drückte es ihr in die Hand und funkelte Matka wütend an, als diese das Brot wieder in die Körbe räumte.
    Juliane war froh, daß sie an diesem Vormittag keine Minute zur Ruhe kam. Zu entsetzlich war die Erinnerung an die vergangene Nacht. Innerhalb von Sekunden war sie vom Gipfel des Glücks in die Tiefe gestürzt und wenn sie daran dachte, wogten Wellen der Scham durch ihren Körper. Sie hätte nicht sagen können, ob sie mehr darunter litt, daß sie sich ihm angeboten oder daß er sie zurückgewiesen hatte – bloß nicht daran denken!
    Im Laden drängten sich die Kunden. Hatte sie wirklich keinen Blumenkohl, keine Gurken mehr? Wieso war das Brot schon wieder ausverkauft und würde sie auch wirklich kein Pferdefleisch anbieten?
    Sie antwortete auf keine der Fragen, ließ auch nicht mit sich handeln. Wer nicht bereit war den geforderten Preis zu bezahlen, den ließ sie einfach stehen. Natürlich konnte man auch mit Wertsachen einkaufen und Juliane hatte schon eine ansehnliche Schmucksammlung angelegt. Sie zog es vor, nicht darüber nachzudenken, ob die Kostbarkeiten den Kunden selber gehörten oder ob sie irgendwelchen Unglücklichen abgenommen worden waren.
    Als ein Mann erklärte, ein Laib Brot wäre ihm ein Goldstück wert, reichte sie ihm das Brot, das sie für sich und Matthäus beiseite gelegt hatte und rief damit einen solchen Sturm der Entrüstung hervor, daß sie einen Augenblick lang Angst um ihr Leben hatte.
    Matthäus, der im Garten arbeitete, hörte den Aufruhr. Er eilte sofort ins Geschäft, riß eine lange Wurstkette vom Haken und warf die Würste in die streitende Menge. Daß dabei auch zwei Hunde auf ihre Kosten kamen, sorgte noch einmal für kurze Aufregung. Danach war im Laden zwar Ruhe, aber vor der Tür schien sich etwas abzuspielen.
    Juliane beobachtete kleine Gruppen vor dem Fenster, die aufgeregt und wild gestikulierend irgend etwas diskutierten.
    »Matthäus«, rief sie, »geh doch mal raus und schau nach, was los ist. Sieht so aus, als ob was Schlimmes passiert ist.«
    Wenig später kehrte er zurück und nickte grimmig.
    »Zwei Nachrichten«, sagte er und nahm von Juliane eine Tasse Pfefferminztee entgegen, »eine gute und eine schlechte. Ich weiß nicht, woher die Leute sie haben, aber sie sind aus dem französischen Hauptquartier gesickert.«
    »Mach es nicht so spannend!«
    »Es hat ein Gefecht bei einem Ort namens Woronowo gegeben, bei dem sich übrigens neben dem polnischen Fußvolk unser drittes württembergisches Reiterregiment Herzog Louis ausgezeichnet hat …«
    »Und die gute Nachricht?« fragte sie ungeduldig.
    »Das war die gute Nachricht. Kutusow hat sich daraufhin über die Nara – das ist ein Fluß – zurückgezogen und sich am rechten Ufer verschanzt.«
    »Na und?«
    »Die schlechte Nachricht ist, daß Napoleon gestern General Lauriston in das Heerlager von Kutusow geschickt hat, um Friedensbedingungen auszuhandeln …«
    »Das ist doch gut!« rief Juliane.
    »… aber er hatte keinen Erfolg. Kutusow soll ihm gesagt haben, daß er von seinem Kaiser keine Vollmacht erhalten habe, Frieden oder Waffenstillstand zu schließen, und noch etwas, Kümmelkätzchen …« Er ließ sich auf einen Hocker fallen, streckte das Bein aus und sah sorgenvoll durch die offene Tür in den abgeernteten Garten. Juliane wartete.
    »… Kutusow hat Lauriston ausgelacht, jawohl ausgelacht. Er hat ihm gesagt, daß er sich über den Vorschlag zum Waffenstillstand wundere. Wo denn der Kampfgeist der Franzosen bleibe? Für die Russen habe der Krieg doch jetzt erst angefangen!«
    »Jetzt erst angefangen«, echote Juliane entsetzt, hielt sich an der Theke fest und starrte blicklos auf

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