Die Markgräfin
dachte sie, du musst jetzt Haltung bewahren.
Die Tür ging auf, und herein kam Christoph von Guttenberg, ein gebirgischer Adeliger, den sie schon als Rat ihres Vaters kennen gelernt hatte. Sofort fiel die Spannung von ihr ab.
»Ihr seid es, Guttenberg, ich dachte schon … « Sie unterbrach sich. Misstrauen keimte in ihr auf.
»Ich hab Euch lange nicht gesehen. Wie kommt’s, dass Ihr Erlaubnis habt, mich zu sprechen?«
Guttenberg machte eine zierliche Reverenz. Er war ein kräftiger Mann, vielleicht sechzig Jahre alt, mit schütteren Haaren, groß und grobschlächtig. An seinem Hals glänzte ein Furunkel, der dringend geöffnet werden musste. In Barbaras Kinderzeit zu Ansbach war er ein berüchtigter Mann gewesen; es hieß, er habe im Streit seinen Bruder zum Krüppel geprügelt.
Etwas zu höflich wandte er sich jetzt an Barbara.
»Gott grüß Euch, Euer Liebden, mich schickt Euer Bruder, unser allergnädigster Markgraf.«
Er lächelte sie freundlich an.
»Ich habe Auftrag, Euch anzuweisen zu packen, was Euer ist, und Euch bereitzuhalten, morgen früh mit dem Hofstaat auf Reise zu gehen. Ich freue mich außerdem, Euch sagen zu dürfen, dass mich der gnädige Herr Albrecht zu Eurem zukünftigen Hofmeister bestallt hat.«
»Hofmeister? Aber ich habe seit Ansbach keinen mehr gehabt. Und für welche Reise soll ich mich bereitmachen?«
»Aufs Gebirg, Euer Liebden! Der Hofstaat Eures Bruders begibt sich auf die Plassenburg, und Ihr habt Befehl, Euch anzuschließen. Morgen früh brechen alle auf.«
Barbara schnürte es die Kehle zu. Die grimmige Festung auf dem Gebirg gehörte zu den schlimmsten aller ihrer Befürchtungen. Schon in früheren Zeiten
war sie von den Markgrafen als Gefängnis für unbequeme politische Gegner und auch unliebsame Familienmitglieder benutzt worden. Sie ahnte, dass Albrecht ihr dieses Schicksal zugedacht hatte, um ihr jede Möglichkeit zu einer Heirat zu nehmen und sie zur Rücknahme ihres Dispensgesuches zu zwingen. Die Knie wurden ihr schwach, und sie fürchtete zu fallen.
»Eure Hand, Guttenberg!«, flüsterte sie.
Der neu erkorene Hofmeister griff ihr mit einer Hand um die Taille, während seine andere ihren Arm stützte. Sorgsam führte er sie zur steinernen Sitzbank der Fensternische und half ihr, als sie dort niedersank. Die Markgräfin verbarg das Gesicht in den Händen. Sie kannte die Plassenburg nur allzu gut. Ob es im Frauenzimmer immer noch keine Glasfenster gab und man im Winter die Rahmen mit gegerbten Häuten in die Mauerlöcher einsetzen musste? Und arbeitete im Kellergewölbe immer noch der alte Kellner mit dem Buckel, der einen wunderbaren Würzwein nach seinem Geheimrezept braute, das er niemandem verriet? Sie erinnerte sich an einen Winter voll Schnee, in dem das Wasser in den Krügen gefror und die Armen von Kulmbach jeden Tag bis vors äußere Tor gezogen kamen, um die Reste vom Gesindetisch in Empfang zu nehmen, nur Brot und Zugemüse, denn Fleisch- und Fischreste waren der Herrschaft immer zu schade für Bettler gewesen.
War es in den Wohnkemenaten immer noch so zugig und ungemütlich, dass selbst zwei Lagen Wandtapisserien, ein lodernder Kamin und überall verteilte Kohlebecken die Kälte nicht abhalten konnten, die in alle Glieder kroch?
Barbara schauderte. Sie hatte als Fünfjährige eine ihrer Hofdamen auf der Burg sterben sehen – eine Erkältung, die auf Brust und Lunge geschlagen war und in fiebrigem Delirium geendet hatte. Es war ihre erste Begegnung mit dem Tod gewesen, ein beängstigender, jämmerlicher Tod. Das Leben auf der Plassenburg war ungesund, das wusste jeder, der mit dem Markgrafen hinaufzog, und musste doch mit.
Ihr fiel ein Wandgemälde der alten Plassenburger Markgrafenkammer ein, das sie als Kind oft in seinen Bann gezogen hatte: Der Raub der Persephone – eine verzweifelt sich windende Erdentochter mit üppigen Formen, die vom lustentbrannten Gott der Unterwelt in die dunkle Schattenwelt hinabgezogen wurde. Das bin ich, durchfuhr es sie, er will mich hinbringen, wo ich kein Licht mehr sehe. Ich soll auf dem Gebirg vermodern, Heilige Mutter Maria, lass das nicht zu …
Barbara fuhr aus ihren Gedanken hoch, als ihr der von Guttenberg einen gläsernen Buckelpokal voll Wein hinhielt. Sie griff danach, ohne wirklich hinzusehen, und trank den Becher aus. Es gab nichts mehr zu sagen.
Der von Guttenberg war längst gegangen, als Barbara aus ihrer Versunkenheit erwachte. Sie schickte nach der dicken Martsch, die in ihrer ganzen Breite ins
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