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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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richtige Konsistenz hatten, um nach einem raffinierten Moment schmackhafter Klebrigkeit auf der Zunge zu zergehen.
    Pfarrer Kellermann war der Erste, der die Sache »totes Kind« zur Sprache brachte. »Irgendwas Neues zu unserem kleinen Kriminalfall, meine Herren?«
    Seine kleinen wässrigblauen Äuglein unter den buschigen Brauen machten die Runde. Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.
    »Nichts. Einfach nichts.«
    Götz zuckte die Schultern. »Ich habe alles durchgesehen, was ich zu Georg Friedrich finden konnte. Ein paar Kollegen habe ich auch gefragt – keiner weiß irgendwas.« Er dirigierte die Kellnerin mit der zweiten Portion Saure Nieren mit Kloß zu sich und rollte sein Besteck aus der Papierserviette.
    Archivar Kleinert bedauerte ebenfalls. »Von meiner Seite auch nichts Neues. Die Archivalien zu Georg Friedrich, die das Kulmbacher Archiv besitzt, sagen nicht viel aus.«
    Götz begann, seine beiden Klöße sauber in der Mitte zu zerteilen und die in Butter gerösteten Brotbröckchen mit der Messerspitze aus dem Inneren herauszupulen.
    »Isst du dein Klößbrot nicht?«, wunderte sich Haubold, und auf ein leicht angewidertes Kopfschütteln des Lehrers langte er mit seiner Gabel auf dessen Teller und beförderte die buttrigen Stückchen von dort direkt in seinen Mund. Genießerisch kauend begann er zu erzählen.
    »In puncto Kinderleiche hat sich bei mir auch nichts ergeben, weder in der Literatur noch in den Bamberger Archivalien. Ich bin fast der Meinung, wir sollten Georg Friedrich abhaken und woanders weitersuchen.«
    »Ja, aber wo denn?« Pfarrer Kellermann nahm seine Brille ab und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger zwischen den Augenbrauen. Er trug wie immer seinen beige gezopften uralten Shetlandpullover, an dem er jetzt seine Augengläser zu säubern versuchte.
    »Ich hätte da so eine Vermutung«, gab der Kastellan zurück.
    Er schob den leer gegessenen Teller in die Tischmitte und begann, seine Gedanken zu erläutern.
    »In den Markgrafenzimmern wird zurzeit auf Teufel komm raus renoviert. Anscheinend hat die Schlösserverwaltung wieder mal ein bisschen Geld übrig. Na ja, jedenfalls, in einem der Zimmer haben die Restaurateure fast eine ganze Wand freigelegt, die vorher mehrfach übertüncht worden war. Jetzt sieht man ein ziemlich mittelmäßiges Schlachtengemälde mit Albrecht Alkibiades in der Mitte, wie er kämpft und dreinhaut.«
    »Ja und?«
    Götz und die anderen konnten daran nichts Außergewöhnliches entdecken.
    »Wartet’s nur ab, jetzt kommt’s. Auf dem Söller der Burg oder der Stadtmauer im Hintergrund ist eine Frau abgebildet. Also ich für meinen Teil habe noch nie auf einem Schlachtengemälde eine Frau gesehen. Ihr? Also. Die Frau schaut dem Kampf zu und stützt sich dabei auf die Mauer. Sie trägt ein grünes Kleid und hat dunkles langes Haar. Und sie hat einen komisch abgeknickten Finger.«
    »Das muss ein echter Realist gewesen sein, der so etwas gemalt hat. Normalerweise wurde bei Porträts doch eher idealisiert, oder?«
    Götz blickte sich Zustimmung heischend bei den anderen um.
    »Jedenfalls«, so fuhr Haubold fort, »ist das doch seltsam – eine Frau auf einem Schlachtenbild in Zusammenhang mit dem kriegerischen Markgrafen, der
nie verheiratet war und demgemäß auch keine Kinder hatte. Vielleicht hat er eine Mätresse mit abbilden lassen. Vielleicht ist im Hintergrund die Plassenburg stilisiert, wo sie auf ihn wartet? Vielleicht ist sie von ihm schwanger?«
    »Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?«, meinte Kellermann. »Es könnte genauso gut die Herrin irgendeiner Stadt oder Burg sein, die gerade erobert wird.«
    »Ja, aber dann wäre sie bestimmt mit diversen Herrschaftsinsignien dargestellt. Und das ist sie nicht. Sie trägt nicht mal Schmuck, außer einem einzigen kleinen Ring mit einem Kreuz aus roten Steinen.«
    Jetzt meldete sich Kleinert zu Wort. Er hatte während der letzten Sätze in sein Bierglas gestarrt und angestrengt über etwas nachgegrübelt.
    »Das kommt mir irgendwie bekannt vor, ich weiß bloß nicht warum. Ein Frauenbild mit abgeknicktem Finger, Mensch, so was hab ich schon mal gesehen. Wenn ich bloß wüsste, wo … «
    Er fuhr sich durch die Haare, was aber seinen Bürstenschnitt nicht weiter in Unordnung brachte.
    Die Diskussion gedieh an diesem Abend nicht weiter, weil kurz nach Kleinerts Überlegungen der Wirt mit fünf Schnäpsen an den Tisch kam. Kurz nach halb elf Uhr gingen alle mehr oder weniger angeheitert heim –

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