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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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alle bis auf Kleinert, der sich noch
einen Kaffee bestellte und in verbissenes Nachdenken verfiel. Eine Frau mit abgeknicktem Finger, die hatte er doch schon mal irgendwo gesehen …
     
    Am darauf folgenden Montag um neun Uhr dreißig klingelte im Büro des Kastellans das Telefon. Mit unüberhörbarem Triumph in der Stimme meldete sich der Archivar.
    »Ich hab’s gewusst, die Frau kenn ich!«
    Haubold konnte nicht ganz folgen.
    »Wen kennst du und wieso?«
    »Na, die Frau in dem Schlachtenbildnis, von der du beim Stammtisch erzählt hast.«
    Jetzt ging Haubold ein Licht auf. »Was, du weißt, wer das ist?«
    »Nein, das nicht. Hör zu. Das mit dem krummen kleinen Finger ist mir gleich bekannt vorgekommen. Und als ich heute so bei der ersten Tasse Kaffee am Schreibtisch sitze, fällt’s mir wieder ein. Vor sieben Jahren, als ich das Archiv übernommen habe, musste ich mir einen Überblick über die Bestände verschaffen. Unter anderem hab ich dabei den Kartenschrank durchgeschaut. Karten, Planzeichnungen, Grundrisse und so weiter. Und mittendrin auch ein ganzer Haufen kolorierter Pläne vom Ausbau der Plassenburger Verteidigungsanlagen im 16 . Jahrhundert. Unter Albrecht Alkibiades, genau genommen. Die Pläne hat ein italienischer Baumeister namens Guerini gezeichnet,
es geht darin um die Verstärkung der Mauern und Bastionen zum Buchberg hin … «
    Haubold unterbrach den Redefluss.
    »Komm endlich zur Sache, Wolfgang. Was ist jetzt mit der Frau?«
    »Nur die Ruhe. Also, die Pläne haben ihre Signatur alle auf der Rückseite, und die hab ich natürlich auch überprüft. Das Nette daran war, dass auf etlichen Rückseiten alle möglichen Skizzen gezeichnet waren, ganz offenbar aus Langeweile. Tiermotive, Studien von verschiedenen Körperteilen, Pflanzengirlanden, so was. Und auch ein paar Personenskizzen, ganz unterschiedlich. Eine dieser Personenskizzen ist mir damals aufgefallen, weil sie eben an einer Hand einen verkrüppelten Finger hatte. Die Figur selber war nur recht grob gearbeitet, aber daneben war noch einmal die Hand gezeichnet, übergroß und mit allen Details, und das hat mich irgendwie fasziniert. Es hat mich an die ›Betenden Hände‹ von Dürer erinnert. Gerade hab ich’s mir noch einmal angeschaut. Das oberste Glied des kleinen Fingers steht in einem seltsamen Winkel hoch, ist dann im Gelenk abgeknickt und stark verkrümmt, sodass der Fingernagel seitlich nach außen zeigt. Und das Beste kommt noch. Neben dem Porträt steht eine handschriftliche Bemerkung, gezeichnet mit dem Kürzel von Spieß – du weißt doch, Philipp Ernst Spieß, der Plassenburger Archivar Ende des 18 . Jahrhunderts, der die so genannten
›Spieß’schen Collectaneen‹ verfasst hat. Da steht: ›Orig. hierz. Kanzl. bibl. Bayr.‹. Das heißt, aller Wahrscheinlichkeit nach befindet sich dieses Original heute in der Bayreuther Kanzleibibliothek. Und jetzt kommst du!«
    Haubold zögerte keine Sekunde.
    »Was hast du heute noch vor?«
    »Ich hab noch eine Benutzerbetreuung um halb elf, danach nichts Besonderes.«
    »Doch. Du hast eine dringende Dienstfahrt nach Bayreuth, um eine Eintragung zu überprüfen. In der Mittagspause hole ich dich ab. Hoffen wir, dass die Kanzleibibliothek über ein ordentliches Bestandsverzeichnis verfügt.«
     
    Die Bestände der alten Kanzleibibliothek hatten inzwischen ihren Standort irgendwo in den Kanzleiräumen der Universität Bayreuth. Dies wurde Haubold auf seine telefonische Anfrage hin mitgeteilt. Er schwang sich in seinen alten Passat und fuhr mit quietschenden Reifen hinunter in die Stadt. Punkt zwölf Uhr parkte er hinter dem Stadtarchiv ein und wartete auf Kleinert, der keine fünf Minuten später die Wagentür öffnete und einstieg.
    »Auf geht’s, Meister!«
    Kleinert holte sein Vesperbrot aus der Aktentasche, während der Kastellan mit Vollgas in die Bundesstraße Richtung Bayreuth einbog.
    »Musst du immer fahren wie eine Sau?« Kleinert hatte Mühe, seine Salamischnitte aus dem Butterbrotpapier zu wickeln, und verlor dabei eine Gurkenscheibe, die einen feuchten Fleck auf seiner Hose hinterließ.
    »Fahr doch das nächste Mal selber!« Haubold beschleunigte ungerührt auf hundertzwanzig Stundenkilometer.
    Der Verkehr hielt sich in Grenzen, und so brauchten sie keine halbe Stunde bis zum Uni-Gelände. Als die beiden dort ihr Anliegen in der Kanzlei vorbrachten, ernteten sie zunächst nur Kopfschütteln.
    »Bilder – nö«, meinte ein junger Mann mit Nickelbrille, der gerade

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