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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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schon kannte. Er ahnte die nächsten Worte bereits, ehe sie ausgesprochen wurden.
    »Lavinia ist heute nach Hause zurückgekehrt«, sagte Mike und stieß eine Rauchwolke aus. »Du weißt doch, sie hat sich vor einem Monat irgendwo draußen auf dem Grund des toten Meeres verlaufen. Man fand dann ein schlimm aussehendes Etwas, das man für die Überreste der Kleinen hielt, und seither war mit den Spauldings nichts mehr anzufangen. Joe ist immer herummarschiert und hat behauptet, sie wäre gar nicht tot, es sei gar nicht ihre Leiche. Damit hat er wohl tatsächlich recht gehabt. Lavinia ist wieder aufgetaucht.«
    »Wo denn?« LaFarge spürte, wie er heftiger atmete, wie sein Herz schneller schlug.
    »Auf der Hauptstraße. Die Spauldings kauften sich gerade Eintrittskarten für ein Kino. Und ganz plötzlich war Lavinia da, mitten in der Menge. Muß eine Szene gewesen sein. Sie hat ihre Eltern zuerst gar nicht erkannt. Sie sind ihr einen halben Block gefolgt und haben sie angesprochen. Und da erinnerte sie sich.«
    »Hast du sie gesehen?«
    »Nein, aber ich habe sie singen hören. Weißt du noch, wie sie immer ›Die schönen Ufer von Loch Lomond‹ gesungen hat? Vorhin hab ich sie drüben im Haus singen hören, für ihren Vater. War angenehm fürs Ohr; ein so hübsches Mädchen wie sie. Ich hatt’s für eine Schande gehalten, daß sie tot sein sollte; und wenn sie jetzt wieder da ist, um so besser. Meine Güte, du siehst aber ganz schön mitgenommen aus, Lafe. Komm doch auf einen Whisky herein…«
    »Nein danke, Mike.« Der alte Mann ging weiter. Er hörte Mike gute Nacht sagen und antwortete nicht, er richtete den Blick auf ein einstöckiges Gebäude mit einer Fülle roter marsianischer Blüten auf dem Dach. An der Rückseite, dem Garten zugewandt, verlief ein schmiedeeiserner Balkon, und die Fenster dahinter waren erleuchtet. Es war sehr spät, und immer wieder dachte er: Was geschieht mit Anna, wenn ich Tom nicht mitbringe? Der zweite Schock, der zweite Tod – welche Folgen hat das für sie? Wird sie sich wieder an den ersten Tod erinnern und an den Traum und das plötzliche Verschwinden? O Gott, ich muß Tom finden, was soll sonst aus Anna werden? Arme Anna, die jetzt unten am Steg wartet. Er blieb stehen und hob den Kopf. Irgendwo oben verabschiedeten sich Stimmen voneinander, wünschten einander eine gute Nacht, Türen fielen ins Schloß, Lampen wurden gelöscht, nur leises Singen war noch zu hören. Gleich darauf kam ein entzückendes Mädchen, kaum achtzehn Jahre alt, auf den Balkon.
    LaFarge rief hinauf, mit heiserer Stimme.
    Das Mädchen wandte sich um und schaute herab. »Wer ist da?« fragte es.
    »Ich«, sagte der alte Mann und stockte mit bebenden Lippen, als er erkannte, wie dumm und seltsam seine Antwort klingen mußte. Sollte er denn rufen: ›Tom, hier ist dein Vater?‹ Wie sollte er sie anreden? Sie mußte ihn für wahnsinnig halten und würde ihre Eltern rufen.
    Im hervorströmenden Licht beugte sich das Mädchen über die Brüstung. »Ich kenne dich«, antwortete sie leise. »Bitte geh; du kannst nichts daran ändern.«
    »Du mußt mitkommen!« Die Worte strömten heraus, ehe er sie zurückhalten konnte.
    Die Gestalt zog sich aus dem Mondlicht zurück, bis sie alle Identität verloren hatte und nur noch eine Stimme aus dem Dunkel war. »Ich bin nicht mehr dein Sohn«, sagte sie. »Wir hätten nicht in die Stadt gehen dürfen.«
    »Anna wartet am Steg!«
    »Es tut mir leid«, sagte die leise Stimme. »Was soll ich denn machen? Ich bin glücklich hier und werde geliebt, so wie ihr mich geliebt habt. Ich bin, was ich bin, und ich nehme, was sich nehmen läßt; es ist zu spät, sie haben mich gefangen.«
    »Aber Anna – der Schock. Denk mal daran.«
    »Die Gedanken in diesem Haus sind zu stark; es ist, als wäre ich eingeschlossen. Ich kann mich nicht mehr zurückverwandeln.«
    »Du bist Tom, du warst Tom, oder? Du treibst doch kein böses Spiel mit einem alten Mann, bist doch nicht wirklich Lavinia Spaulding?«
    »Ich bin niemand – ich bin nur ich. Doch stets bin ich irgend etwas, und jetzt bin ich etwas, an dem du nichts ändern kannst.«
    »Du bist nicht sicher in der Stadt. Draußen am Kanal wärst du besser aufgehoben, wo dir niemand weh tun kann«, flehte der alte Mann.
    »Das stimmt.« Die Stimme stockte. »Aber ich muß auch an die Leute hier denken. Wie müßte ihnen zumute sein, wenn ich morgen früh wieder verschwunden wäre – diesmal für immer? Trotzdem weiß die Mutter, wer ich

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