Die Mars-Stadt
hingegen tröstete mich. Ich nahm mir den Lieferschein
vor.
Obstsaft war zehnmal so teuer wie Milch. Mit der Inflation
hatte das nichts zu tun – die betraf lediglich die
republikanische Spielzeugwährung, und wir bezahlten mit
gutem südafrikanischem Gold.
Verrückte Preise. Wohin steuerte die Welt?
Da dachte ich also jetzt wie ein alter Mann.
Kopfschüttelnd trug ich Annettes Frühstück und
einen Packen ihrer Lieblingszeitungen nach oben.
Anschließend wusch ich mich, kleidete mich an, dann nahm
ich mir mein eigenes Frühstück und die Zeitungen vor
und versuchte mir ein Bild von der Lage zu machen.
Ich war gerade bei der zweiten Tasse Kaffee und der ersten
Zigarette angelangt, als mir einfiel, dass beides ebenso wie der
Obstsaft importiert wurde. Ich fragte mich, ob die Republik
Steuern oder Abgaben aufgeschlagen hatte, dann wurde mir klar,
dass ein solcher Frevel meiner Aufmerksamkeit wohl kaum entgangen
wäre. Ich hätte von den daraus folgenden Unruhen
gehört; verdammt noch mal, ich hätte sogar daran
teilgenommen.
Ein Blick in die Datenbank des Economist setzte mich
ins Bild. Die Rohstoffpreise waren in den vergangenen sechs
Monaten, seit der Herbstrevolution, stark gestiegen, während
die Preise für Fertiggüter und Dienstleistungen
gefallen waren. Es gab zahlreiche Artikel darüber, die ich
übersehen hatte, weil ich so sehr mit den kleinen Problemen
des Alltags beschäftigt war.
Die Niederlage der US/UN und der Zusammenbruch solcher
wirtschaftlicher Gaunerorganisationen wie des IWF und der
Weltbank hatten unterschiedliche Auswirkungen gehabt. Die
Rohstoffe stammten zumeist aus weniger entwickelten Regionen, aus
der ehemaligen Zweiten und Dritten Welt. Im Vergleich zu deren
Instabilität wirkten unsere Bürgerkriege eher wie ein
friedlicher Streik. Jetzt, da kein Regime mehr
mäßigend einwirkte, waren die Verteidigungskosten in
die Höhe geschnellt, die Risiken hatten zugenommen.
Währenddessen hatten die Steuersenkungen – und das
Ende der durch die Rüstungskontrollmaßnahmen der UN
bewirkten Blockade der technischen Entwicklungen – in den
weiter entwickelten Regionen für einen Wachstumsschub
gesorgt. Sogar ein Durchbruch auf dem Gebiet der Nanotechnik
schien möglich, vorausgesetzt, es gelänge jemandem, die
besten Geister aus der Versenkung hervorzulocken.
So viel zum Kaffeepreis. Ansonsten beschäftigte mich,
weshalb wir nicht so arm waren, wie wir eigentlich hätten
sein sollen. Mein Universitätseinkommen war zu einem
symbolischen Stipendium zusammengeschrumpft, denn die einzigen
Vorlesungen, die gegenwärtig stattfanden, wurden von den
Unwissenden untereinander abgehalten. (Gebe Gott, dass sie bald
daraus hinauswachsen. Und zwar bald.) Die Einkünfte aus
meiner Autorentätigkeit waren gestiegen, jedoch nicht sehr,
denn es zirkulierten vor allem die Artikel, auf deren Copyright
ich verzichtet hatte. Unsere Pensionskassen zahlten
regelmäßig, doch die Rentenzahlungen deckten nur das
Nötigste ab und waren jedenfalls nicht gestiegen. Und
dennoch mussten wir – anders als die meisten anderen Leute
seit Beginn der Revolution – den Gürtel nicht enger
schnallen.
Ich rief die Kontoauszüge auf und hätte beinahe eine
Tasse teuren Instantkaffee verschüttet. Im Aschenbecher
kokelte eine ganz normale teure Zigarette unbeachtet vor sich
hin. Unser regelmäßiges Einkommen war in der Tat
geschrumpft, doch das wurde aufgewogen durch steigende
Einkünfte aus meinem kleinen, nahezu vergessenen
Aktienanteil an den Weltraumhändlern. Ich verfluchte die
Finanzsoftware, weil sie zuließ, dass ich mein Kapital
aufzehrte, dann startete ich sie.
Wir zehrten mein Kapital nicht auf. Wir gaben einen Teil der
Einkünfte aus, und zwar bloß einen kleinen Teil. Der
Wert meines Aktienpakets war viel stärker gestiegen als
erwartet und hatte sich seit Beginn der Revolution nahezu
verdoppelt. Wir erfreuten uns eines bescheidenen, beruhigenden
und unerklärlichen Wohlstands.
»Ich verstehe nicht, weshalb du dich beklagst«,
sagte Annette beim späten Mittagessen. Keine dringenden
Anrufe; vermutlich bedeutete dies, dass die Besetzung reibungslos
vonstatten ging. »Ich bin begeistert. Ich hatte nie den
ausgeprägten Wunsch, reich zu werden, aber ich habe es mir
immer als angenehm vorgestellt.«
Sie blickte sich in dem Kuppelbau um, ließ den Blick
über die Bücherregale und Kletterpflanzen und das
komplizierte Kabelgewirr der
Weitere Kostenlose Bücher