Die Mars-Stadt
die
Übermittlungsmethode der Wahl für zielspezifische
Viren. Ich sah den Umschlag an – verdammt noch mal, er fing
bereits an zu qualmen –, dann langte ich hinter mich und
schaltete das Notbackup ein. Die Sekunden verstrichen,
während der Speicherinhalt meines Homecomputers auf
isolierte Festplatten übertragen wurde. Als der
Sicherungsvorgang beendet war, öffnete ich den qualmenden
Umschlag.
lieber jon, lautete die Nachricht, es geht zu
schnell, hilf mir. gruß, myra.
Dann zerkrümelte die Nachricht.
Also, das hilft mir wirklich weiter, dachte ich, als ich
ausstieg und ins fahle Tageslicht blinzelte, während Annette
mich von der anderen Tischseite spöttisch musterte.
»Myra hat sich bei dir gemeldet«, sagte sie.
Ich riss erstaunt die Augen auf. »Woher weißt du
das?«
»Das seh ich dir an«, antwortete sie.
»Diesen Blick kenne ich.«
Ich hatte in mehr als zwanzig Jahren etwa zwanzigmal mit Myra
Kontakt gehabt: Als wir die Bombe bekommen hatten und bei
Geschäften, die ich in der Norlonto-Zeit für die
Weltraumbewegung vermittelt hatte. Es gab eine direkte
Luftschiffverbindung zwischen Alexandra Port und Baikonur, und
ich war ihr ein paarmal bei der Durchreise begegnet, aber die
meisten Kontakte hatten übers Netz stattgefunden.
Ich fasste Annette bei der Hand. »Du bist doch nicht
etwa eifersüchtig? Mein Gott, das ist siebzig Jahre
her!«
»Ich weiß«, sagte Annette. Sie drückte
mir die Hand. »Und ich weiß auch, dass du mich
liebst. Aber sie hast du ebenfalls geliebt. Ich glaube, sie war
die einzige andere Frau, die du jemals geliebt hast. Und es
stimmt schon, wenn man sagt, die Liebe währt ewig. Man kann
sie abtöten, aber von selbst stirbt sie nicht.«
Ihre Worte hätte die Erinnerung an zahllose sentimentale
Songs und Geschichten wachrufen können, sie aber sprach sie
aus, als handele es sich um eine bittere, widerwillig akzeptierte
wissenschaftliche Tatsache. Bevor ich protestieren, ihr
Vorhaltungen machen, Erklärungen vorbringen konnte, legte
sie mir die Hand auf den Mund.
»Schon gut«, sagte sie, dann setzte sie hinzu:
»Was will sie diesmal?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Ich
berichtete ihr von der Nachricht und wo ich sie bekommen hatte.
»Sie steckt in Schwierigkeiten und bittet mich um
Hilfe.«
»Es geht zu schnell.« Annette blickte an mir
vorbei in eine ihr allein zugängliche virtuelle
Realität. »Das passt irgendwie, weißt du. Die
Zwangsarbeit, die Profite aus dem Weltraumhandel – irgendetwas geht zu schnell. Wenn man sich die Nachrichten
anschaut, hat man den Eindruck, die Welt stürze ein, und ich
glaube, das liegt daran, dass wir… von etwas Unbekanntem in Stücke gerissen werden.«
Ich lachte. »Wenn es so wäre, hätte mir jemand
davon erzählt.«
»Ich glaube, das ist soeben passiert«, meinte
Annette. »Jedenfalls gibt es nur eine Möglichkeit, das
herauszufinden. Flieg nach Kasachstan. Es wird vermutlich nicht
schwer sein, Myra zu finden, sonst hätte sie dir mehr
Informationen gegeben.«
Ich blickte sie erstaunt an. Diese Idee war mir auch schon
gekommen. Von Annette hätte ich eher Widerstand
erwartet.
»Ich will nicht, dass du fliegst«, sagte sie.
»Ich bin mir nicht mal sicher, ob du es willst. Aber das
Nichtstun ängstigt mich mehr. Seit dem Einmarsch der Truppen
hat sich niemand mehr für dich eingesetzt. Ich glaube, sie
vertrauen dir nicht mehr.«
»Sie?«
»Die Leute von der Weltraumbewegung. Die
Genossen.«
»Es gibt keine Verschwörung«, meinte ich
grinsend. Das war eine stehende Wendung bei mir.
Annette schaute traurig und ernst drein.
»Diesmal könnte es sein, dass du dich irrst«,
sagte sie.
Sie stand auf und ging zum Hausrechner, tippte hektisch etwas
ein. »Komm schon«, meinte sie. »Hilf ihr. Ich
werd mal versuchen, einen Flug zu buchen. Du machst dich fertig,
und vergiss um Himmels willen nicht, deine Waffe
mitzunehmen.«
Ich gehorchte kopfschüttelnd. Was Annette da
ausgesprochen hatte, war mir noch nie in den Sinn gekommen.
»Die Liebe währt ewig.«
Du meine Güte.
Am liebsten wäre ich mit einem der regelmäßig
verkehrenden Luftschiffe geflogen, doch Annette erklärte,
dann müsste ich tagelang warten, da sie normalerweise Fracht
und Weltraumarbeiter transportierten, die einen Monat in Norlonto
ausgespannt hatten. Deshalb flog ich von Stanstead aus mit einem
Linienjet, der viel größer war als der, mit dem Reid
und ich vor
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