Die Mars-Stadt
Metallbeinen sachte hin und her.
»Ich habe Durst«, sagte der Mann. Das Wasser im
Kanal floss träge dahin und war von grünen Algen
durchsetzt. Er beäugte es misstrauisch. »Weißt
du, ob man das Zeug trinken kann?«
»Das kann man nicht«, antwortete die Maschine.
»Und ich kann das Wasser mit vertretbarem Energieaufwand
auch nicht trinkbar machen. Allerdings kann ich dir versichern,
dass du heute Abend in Ship City trinken wirst, wenn du
weitergehst und hin und wieder eine Ruhepause
einlegst.«
»In einer Marsbar?«, sagte Wilde und lachte.
»Ich wollte schon immer mal in einer Marsbar
abhängen.«
Eine weitere Stunde verstrich, dann sagte Wilde: »He,
ich sehe sie!«
Die Maschine brauchte nicht nachzufragen. Ohne innezuhalten
streckte sie geschmeidig die Beine, bis sich die Kapsel beinahe
auf Kopfhöhe des Mannes befand, und sah nun das Gleiche wie
Wilde: unregelmäßige Erhebungen am Horizont.
»Ship City«, sagte die Maschine.
»Eine Pause!«, rief der Mann, der sich anstrengen
musste, um Schritt zu halten. »Es gibt keinen Grund, wie
eine marsianische Kampfmaschine einfach loszupreschen.«
Der gleichmäßige Schrittrhythmus der Maschine
veränderte sich nicht.
»Du bist kräftiger, als du glaubst«, sagte
sie. Der Mann schloss zu ihr auf, und sie marschierten Seite an
Seite weiter.
»Das gefällt mir«, setzte die Maschine nach
einer Weile hinzu. »›Wie eine marsianische
Kampfmaschine‹. Ha-ha.«
Ihr Lachen war noch verbesserungsfähig, wenn sie
menschenähnlich klingen wollte.
Sie marschierten weiter. Die ihnen vorauswandernden Schatten
wurden länger, und am Horizont, der dem Mann zwar fremdartig
vorkam, jedoch nicht unerwartet nahe war, tauchte allmählich
die Stadt auf. Die unregelmäßigen Erhebungen
verwandelten sich in durch Bögen und schlanke, geschwungene
Brücken verbundene hoch aufragende Türme; Kuppeln und
Gebäudekomplexe wurden zwischen den Türmen sichtbar, zu
deren Füßen sich ein Geflecht kleinerer Gebäude
zu den Rändern hin ausbreitete, teilweise im Dunst
verschwimmend.
Die kleine Sonne ging hinter ihnen unter, und eine
Viertelstunde später war es Nacht geworden. Der Mann blieb
stehen, und auch die Maschine hielt an.
Jon Wilde drehte sich mehrmals im Kreis, ließ den Blick
vom Zenit zum Horizont und wieder zurück schweifen, als
suche er nach etwas Bekanntem. Er entdeckte jedoch nichts und
wandte sich schließlich an die Maschine, deren Rumpf im
Sternenlicht wie mit Reif bedeckt schien.
»Wie weit?«, fragte er mit trockenem Mund. Er
deutete zum sternfunkelnden, eiskalten Himmel auf. »Wie
lange?«
»He, Jon Wilde«, sagte die Maschine. Diesmal
stimmte der Tonfall. »Wenn ich es wüsste, würde
ich’s dir sagen. Dieselbe Spirale, ein anderer Arm, mehr
weiß ich nicht. Wir reden hier über Zahlen, Mann, wir
reden über geologische Zeiträume.«
Die beiden Wesen hingen eine Weile jeder für sich ihren
Gedanken nach, dann legten sie die letzten Meilen zu den immer
zahlreicher werdenden Lichtern der Stadt zurück.
Stras Cobol, am Steinkanal. Irgendwo im Menschenviertel. Ein
guter Ort, um sich zu verlaufen. Den Überwachungssystemen
entgeht nichts…
Ein drei Kilometer langer Straßenabschnitt, an einer
Seite das Kanalufer, an der anderen Gebäude, deren
Größe die Vermögenswerte als Balkengrafik
wiedergeben, angefangen von den hoch auf ragenden Türmen im
Stadtzentrum bis zu den niedrigen Hütten und Baracken am
Stadtrand, wo der rote Sand von der Wüste herangeweht wird
und im Dunkeln die Fusionsanlagen der Familienfarmen leuchten.
Auf der gleichen Trajektorie dringt zunehmend der Handel hinter
den Wänden und Fenstern hervor und ergießt sich in die
Verkaufsbuden und Bauchläden. Über die ganze Länge
der Straße herrscht dichtes Gedränge von Menschen und
Maschinen, die teilweise arbeiten und sich teilweise entspannen,
während die Abenddämmerung herabsinkt.
Unter all den Gesichtern in der Menge fokussiert sich etwas
auf ein bestimmtes Gesicht. Das Gesicht einer Frau, das
kurzzeitig registriert wird, während sie sich einen Weg
durchs Gewühl bahnt. Die Evaluierungsroutinen des Systems
haben ihre Erscheinung kurz darauf kategorisiert: scheinbares
Alter um die zwanzig, Größe ein Meter sechzig –
weit unter dem Durchschnitt –, leichtes Übergewicht.
Mittels hochhackiger Schuhe hat sie ihre
Körpergröße auf den Normalwert angehoben, ihre
Figur wird betont von einem langärmligen,
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