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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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elektronischen Ausrüstung
schweifen und dachte offenbar über Verbesserungen nach.
    »Ja, ich auch«, sagte ich. »Aber heutzutage
Geld im All zu verdienen, das ist, als spotte man der
Schwerkraft. Die Weltraumverteidigung wurde mit Mitteln der
Verteidigungsbudgets finanziert, die jetzt zur Disposition
stehen. Die gesamte Weltraumindustrie, sogar die Siedlungen
– und auch die NASA – hatten Ähnlichkeit mit den
Geschäften in einer Garnisonsstadt. Mit den
Hurenhäusern! Das ganze System müsste eigentlich
zusammenkrachen. Ein großer Teil davon tut dies bereits
– die Kampfsatelliten haben Leerlauf und verhökern
Mikrowellenstrahlen an Elektrizitätsgesellschaften und
dergleichen. Weshalb machen die Weltraumhändler dann so gute
Geschäfte?«
    In Annettes Blick lag ein amüsiertes oder trauriges
Funkeln. »Du willst nicht aufgeben, nicht wahr?«,
sagte sie. »Du glaubst, du bist da an was dran, und du
willst nicht aufgeben.«
    »Genau«, meinte ich, stand auf und räumte das
Geschirr ab.
    »Solltest du zu der Einsicht gelangen, dass alles ein
schrecklicher Irrtum war, dann tu mir einen Gefallen«,
sagte sie. »Nimm das Geld und lauf weg. Es ist mir egal,
wem es gehört, so viel sind die dir schuldig.«
    »Ein halber Tag unter Staatsherrschaft«, meinte
ich, »und schon denkst du wie ein Politiker.«
    »Nein«, widersprach sie und erhob sich lachend.
»Ich denke wie die Frau eines Politikers.«
     
    Die Soldaten blieben, die Lager wurden befriedet, Vertreter
aller möglichen Richtungen der Weltraumbewegung denunzierten
mich. Ich reagierte nicht auf die Angriffe. Es schneite. Wir
hielten uns warm und beschäftigten uns gemeinsam mit einem
Puzzle. Annette verfolgte die Nachrichten, und ich verfolgte das
Geld. Für einen Befürworter des freien Marktes kannte
ich mich in Wirtschaftsfragen beschämend schlecht aus, und
es dauerte ein paar Tage, bis es mir gelang, an den pinkfarbenen
Fenstern der Financial Times vorbei zu den Wizards
vorzustoßen.
    Dann weiter zu den riesigen Datenbanken von Companies
House… in der virtuellen Realität konnte man darin
umherwandern wie in einer großen Mall, deren
Verbindungsgänge und Kreuzungen die widernatürliche
Topologie einer Escher-Grafik emulierten. Ich war in Person
anwesend, und das galt auch für einige der anderen Sucher
und Rechercheure, die meisten aber waren als rätselhafte
Avatare, Firmenicons oder in der gespiegelten
Samurai-Rüstung der neuesten Verschlüsselungssoftware
der Code-Shops in Kobe erschienen (›Zen-Kryptographie
– Denken Sie lieber nicht drüber nach!‹ hieß es in der Werbung.)
    Von Companies House aus konnte man die ganze Welt sehen.
    Ich sah die komplizierte Geometrie des thailändischen
islamischen Bankensystems unter dem Angriff der antitechnischen
Grünen Khmer zerbröckeln; ich sah, wie die von der
Workuta Volksfront befreite Hafenwirtschaft von Wladiwostok in
neuen, seltsamen Formen wieder emporwuchs; ich sah, wie Amerikas
überstrapazierte wissenschaftliche Informationsnetze an den
Küsten heller aufleuchteten und im Kernland flackerten und
erloschen, als die Wissenschaftsfundamentalisten und die
Weißen Nationalisten die von ihnen des ›wurzellosen
Naturalismus‹ beschuldigten Institute öffentlich und
die der ›jüdischen Wissenschaft‹ dienenden im
Geheimen schlossen.
    Ich sah, wie sich die Kosmodrome in Kasachstan
himmelwärts reckten, und ich sah auch die Zuflüsse, die
sie speisten und die vom KomLag-Archipel der Zwangsarbeitsfirmen
stammten. Einige waren in der ehemaligen Sowjetunion beheimatet
– altes Know-How, einem neuen Zweck zugeführt –,
die meisten aber in der freieren Welt. Ein paar saßen sogar
hier in Norlonto.
    Wo immer es möglich war, ließen die siegreichen
Streitkräfte der Herbstrevolution die nützlicheren
Arbeitskräfte des geschlagenen US/UN-Reiches – und
zumal die der Weltraumverteidigung – für einen
Hungerlohn arbeiten, was teilweise als Wiedergutmachung
früherer Ausbeutung angesehen wurde. Auch für die
unpolitischen Kriminellen hatte man eine neue Verwendung
gefunden; sie mussten sich in der hochriskanten High-Speed- und
Hochlohnwirtschaft im All bewähren.
    »Sklaverei«, sagte Annette. »Ich kann
einfach nicht glauben, dass es so weit gekommen ist.«
    »Von Sklaverei kann man eigentlich nicht
sprechen«, entgegnete ich voller Unbehagen. »Es
handelt sich eher um Zwangsarbeit.«
    »Ja, ja. So wie wir bloß deshalb, weil wir

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