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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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das Mädchen sah, das sich ihm durchs Gewühl
des Marktplatzes näherte, lag bereits mehr als ein
Zigarettenstummel zu Wildes Füßen. Er löste sich
von dem Rechner, an dem er gelehnt hatte.
    »Tamara Hunter«, sagte die Maschine über
seine Schulter hinweg, als das Mädchen stehen blieb und ihm
die Hand reichte. »Jonathan Wilde.«
    Sie musterte ihn mit schiefgelegtem Kopf, während er ihr
die Hand schüttelte.
    »Mein Gott«, sagte sie. »Sie sind es
wirklich.«
    Wilde grinste. »Sie kommen mir auch irgendwoher bekannt
vor.«
    »Gestern Abend im Pub«, erinnert ihn Tamara.
»Also, wenn jemals jemand nur Augen für eine Frau
hatte, dann Sie.«
    »Ah, ja, natürlich«, sagte Wilde. »Sie
waren mit… Dee zusammen dort.«
    »Ja«, sagte Tamara. Sie schaute sich um. »Wo
steckt Ihr Robot?«
    »Ha!«, schnaubte Wilde. »Diesem
elektronischen Anwalt zufolge sollten wir eigentlich auf der
gleichen Seite stehen, also sagen Sie nicht, es wäre
›mein Robot‹. Ich will verdammt sein, wenn ich
zugebe, dass das mein Robot ist. Tatsache ist, dass er
sich auf eigene Faust verdrückt hat.«
    »Oh«, machte Tamara. Sie blickte die
Rechnereinheit der Unsichtbaren Hand an. »Wir wollen uns
unter vier Augen unterhalten«, teilte sie ihr mit.
    »In Ordnung«, sagte die Maschine. »Ich werde
mich weiterhin um die technischen Aspekte des Falles
kümmern.«
    Tamara wandte sich an Wilde. »Sollen wir uns bei einem
Bier unterhalten?«
    »Ja, gut.«
    Sie gingen zwischen Verkaufsständen und unter Bäumen
her. Ringsumher herrschte reges Getriebe. Als sie sich
außer Hörweite der Unsichtbaren Hand befanden –
so weit Menschen dies überhaupt feststellen konnten –,
fragte Wilde: »Was ich gern wüsste, verfügt diese
Anwaltsmaschine eigentlich über
Selbstbewusstsein?«
    Tamara lachte. »Ach was, das ist bloß ein
Expertensystem. Und es hat seine Eigenheiten.«
    »Ja, könnte man so sagen.« Er musterte die
Tische, die um ein Konglomerat aus Tresen, Kühlschrank und
Grill herum angeordnet waren, alles klein und mit Brandflecken
bedeckt. Mittendrin stand ein groß gewachsener Türke,
teilte Getränke und Sandwiches aus und nahm dafür
schmierige Geldscheine entgegen. »Hier?«
    Tamara nickte und lächelte anerkennend über sein
scharfes Urteil. Wilde bestellte zwei Liter Bier. Eine Weile
tranken sie in durstigem Schweigen aus den glasperlenbesetzten
braunen Flaschen und versuchten, einander einzuschätzen.
    »Zigarette?«, fragte Wilde und holte eine
mittlerweile zerknautschte Packung hervor.
    »Nein, danke«, sagte Tamara. »Aber rauchen
Sie ruhig.«
    Wilde lächelte sie an. »Das ist meine erste Packung
seit Jahrhunderten«, meinte er, als er sich die Zigarette
ansteckte. »Nicht, dass das eine Entschuldigung wäre.
Zum einen kommt es mir so vor, als sei das erst gestern gewesen,
zum anderen hat mich das Rauchen umgebracht.«
    Tamara runzelte die Stirn. »In den Büchern finden
sich unterschiedliche Versionen, aber ich dachte, Sie wären
bei einer Schießerei ums Leben gekommen.«
    »Das stimmt schon«, meinte Wilde und nickte.
»Hab versucht, einer Kugel davonzurennen,
aber…« Er blickte reumütig die Zigarette an und
nahm noch einen Zug, während Tamara lachte.
    »Das ist merkwürdig«, sagte sie. »Ich
habe mit einigen Leuten geredet, die auf dem Schiff waren und
tatsächlich von der Erde kamen – Mann, meine
Großeltern gehörten dazu –, aber sie haben nie
gesagt, dass sie tot gewesen wären. Sie sprachen davon, sich
im ›Übergang‹ befunden zu haben.«
    »Klar« meinte Wilde sarkastisch.
»›Realitätsverleugnung‹ lautet der
Fachbegriff für diese Geisteshaltung.«
    »Sie aber reden darüber… und dabei sind Sie
sozusagen eine historische Persönlichkeit. Ja,
wirklich!« Sie mustert ihn abschätzend. »Auf den
Fotos sehen Sie anders aus. Älter.«
    »Auf welchen Fotos?«, fragte Wilde.
    Tamara langte in die Innentasche der Jacke und reichte Wilde
ein Plastiketui mit mehreren Kärtchen.
    »Ich… äh… sammle sie«,
erklärte sie, während Wilde die Karten auf den Tisch
legte. »Die liegen Zerealien bei, die in dieser Gegend
hergestellt werden.«
    »Harmonie-Haferflocken!« Wilde lachte schallend.
Er breitete die holzschnittartigen Porträts aus. »Mal
sehen… Owen, Stirner, Proudhon, Warren, Bakunin, Tucker,
Labadie, Wilson, Wilde. Die Ahnenreihe stimmt, aber ich
bezweifle, dass ich diese erlauchte Gesellschaft verdient habe.
Ich bin mir nicht sicher,

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