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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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ob ich mich geschmeichelt oder
abgestoßen fühle.«
    Er blickte auf die zerfurchten Gesichter der ikonenhaften
Gestalten nieder und fuhr sich mit der Hand über sein
eigenes jugendliches Gesicht. Er schüttelte den Kopf.
    »Als ich damals so aussah wie jetzt, war ich weit davon
entfernt, berühmt zu sein«, sagte Wilde. Er klang
vorübergehend bedrückt, dann setzte er in munterem Ton
hinzu: »Vielleicht ist es ja auch gut so.«
    »Verdammt richtig!« Tamara blickte sich um.
»Wenn das herauskommt, werden Sie wieder berühmt
werden. Und das wird es spätesten dann, wenn die Verhandlung
beginnt.«
    Wilde zuckte die Achseln. »Ich würde sie lieber so
lange wie möglich aufschieben. Ich verstehe noch nicht genug
von der hiesigen Politik, um die Publizität zu meinem
Vorteil nutzen zu können.«
    »Okay«, meinte Tamara. »Im Moment haben wir
andere Sorgen. Bevor ich erfuhr, dass Sie beteiligt sind, erhielt
ich eine Nachricht von David Reid. Sie… kennen
ihn?«
    »Klar. Ist schon ’ne Weile her.«
    »Also, er klagt auf Überstellung des Gynoids, das
heißt, er will Dee zurückhaben. Damit habe ich
gerechnet. Die Unsichtbare Hand hat mir soeben mitgeteilt, auch
gegen Sie läge eine Klage vor und Sie wollten die
rechtlichen Schritte bündeln. Im Grunde haben Sie gar keine
andere Wahl, denn eigentlich ist dies ein und derselbe Fall,
deshalb wird kein anderes Gericht sich mit dem Ihren befassen,
solange unser Fall noch in der Schwebe ist, und wir müssen
Sie sowieso mit hineinziehen, also können Sie ebenso gut zu
Ihren eigenen Bedingungen einsteigen.«
    Wilde breitete die Arme aus. »Wo liegt das
Problem?«
    »Die erste Person auf unserer Liste bevorzugter Richter
ist ein gewisser Eon Talgarth.« Sie stockte, wartete auf
eine Reaktion. Wilde hob bloß die Brauen. »Er war mal
Abolitionist«, fuhr Tamara fort, »und leitet jetzt
ein Gericht drüben im Fünften Viertel. Das ist eine
Maschinendomäne. Er befasst sich meistens mit
Scrappies.«
    »Scrappies?«
    »Leute wie ich, die in die Maschinendomänen
eindringen und Jagd auf nützliche Maschinen und Automaten
machen. Er ist bekannt dafür, dass er autonome Maschinen
freilässt und einstweilige Verfügungen gegen die
Jäger verhängt, doch das wurde von anderen Gerichten
bislang nicht als Präzendenzfall gewertet.«
    »Jedenfalls scheint er für den Fall gut geeignet zu
sein.«
    »Klar, deshalb habe ich ja auch nicht erwartet, dass
Reid einwilligen würde. Aber das hat er getan.
Großartig. Die Sache ist bloß die, ich wusste nicht,
dass Sie darin verwickelt sind. Mist.«
    »Wo liegt das Problem?«
    »Eon Talgarth mag Sie nicht besonders.«
    Wilde setzte sein Bier ab und starrte sie an. »Was? Ich
habe noch nie von ihm gehört. Was hat er gegen
mich?«
    »Ach, so viel ich weiß nichts
Persönliches.« Sie zuckte die Achseln. »Er
stammt von der Erde, war in Arbeiterbanden Mitglied und war auf
dem Schiff. Es wäre durchaus möglich, dass Sie ihm
etwas getan haben – gesprochen hat er nie darüber.
Aber in der Zeit, als er Abolitionist war, hat er sich gegen die
von vielen hier vertretene Ansicht ausgesprochen, Sie wären
ein Held und ein großer anarchistischer Denker und
böten eine Alternative zu den Ideen, die Reid implementiert
hat, als er das alles ins Laufen brachte. Er meinte, Sie
wären ein Opportunist, Sie hätten zahlreiche schmutzige
Geschäfte mit der Regierung gemacht – und mit Reid. Er
meinte, die Konflikte zwischen Ihnen beiden wären rein
persönlicher Natur.«
    Sie hatte leichthin gesprochen, als rechnete sie fest damit,
dass er die Vorwürfe abstreiten würde. Wilde schaukelte
auf dem Stuhl gefährlich weit zurück und
schüttelte sich vor Lachen.
    »Das stimmt alles, jedes einzelne Wort!«, sagte
er. »Es wundert mich, dass es hier überhaupt Leute
gibt, die mich für einen Helden und einen großen
anarchistischen Denker halten. Ha-ha! Dieser Eon Talgarth hat
völlig Recht.«
    Tamaras Mundwinkel sanken leicht herab. »Das ist doch
nicht wahr, oder? Dass Sie schon immer ein Opportunist
waren?«
    »Unbedingt«, erwiderte Wilde. »Erst neulich
– meiner subjektiven Erinnerung zufolge – hat mir
eine Frau, die ich einmal geliebt habe, gesagt, ich wäre
dafür verantwortlich, dass der letzte Weltkrieg ein
Atomkrieg war. In Anbetracht meines Alters von dreiundneunzig
Jahren und der Tatsache, dass ich eine Menge Kritik wegen
verschiedener… kontroverser Entscheidungen eingesteckt

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