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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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durchdrehen würde,
hätte ich Dee niemals aus den Augen gelassen.«
    Wilde ergriff ihre Hand.
    »Ganz ruhig«, sagte er. »Ruhig. Was habe ich
getan, dass Sie mich ›Genosse‹ Wilde nennen? Ich
heiße Jon, okay? Und Sie sind für Dees Taten ebenso
wenig verantwortlich wie ich dafür, dass Jay-Dub verloren
ging. Beide sind freie Agenten, geht es nicht gerade
darum?«
    »Das stimmt wohl«, meinte Tamara. »Aber Ax
behauptet, es wäre unfrei gewesen, als er gewisse…
erniedrigende Dinge getan hat. Einserseits verstehe ich das, aber
andererseits… Ach! Es ist alles so kompliziert! Was sollen
wir jetzt tun?«
    »Tamara«, sagte Wilde sanft, ließ ihre Hand
los und setzte sich. »Wie alt sind Sie?«
    »Zwanzig.«
    Wilde steckte sich eine Zigarette an.
    »Neumarsjahre?«
    »Ja.«
    »Na schön«, sagte Wilde. »Dann leben
sie zweimal so lange inmitten einer Anarchie wie ich es jemals
geschafft habe, und sie kennen entweder die Antwort oder wissen,
wie Sie sie finden können.«
    Tamara setzte sich auf die Tischplatte und erwiderte seinen
Blick verblüfft und trotzig.
    »Ich kann Ihnen nicht folgen«, erwiderte sie.
    »Nun«, sagte Wilde, »wenn wir wissen wollen,
ob es sich lohnt, etwas herzustellen, dann besorgen wir uns die
Antwort bei der Erkenntnismaschine namens Markt. Wenn wir wissen
wollen, wie etwas funktioniert, besorgen wir uns die Antwort bei
einer anderen Erkenntnismaschine namens Wissenschaft. Wenn wir
wissen wollen, ob jemand das Recht hatte, einen anderen Menschen
zu töten, bedienen wir uns einer Erkenntnismaschine namens
Recht.«
    »Ja«, sagte Tamara. »Das weiß ich.
Aber das wird Ax und Dee nicht helfen, wenn sie geschnappt
werden. Oder uns, wenn wir zu lange warten, bis wir versuchen,
sie aufzuhalten.«
    »Einen Versuch ist es wert, okay? Und wenn das Gesetz
einen wirklich im Stich lässt und man mit dem Ergebnis nicht
leben kann, dann…« Er breitete lächelnd die
Arme aus.
    »Was dann?«
    »Dann wird man auf den Naturzustand zurückgeworfen.
Man kämpft. Okay, man könnte sterben, aber was
soll’s? Das ist das Gleiche, als wenn man am Markt
scheitert. So was kommt vor. Man hungert. Man stiehlt.«
    Tamara wirkte entsetzt.
    »Aber das wäre ja…«
    »Anarchie?« Wilde grinste sie an.
    »Wollen Sie damit sagen, jeder könnte tun, was er
will?«
    »Buchstäblich, ja. In jeder halbwegs
anständigen Gesellschaft ist man weit besser dran, wenn man
das Gesetz, das Privateigentum und so weiter respektiert, aber
letztendlich ist das jedermanns eigene Entscheidung. Man hat
immer die Option, Krieg zu führen – notfalls gegen den
Rest der Welt.«
    »Aber den Kampf würde man verlieren!«, sagte Tamara.
    Wilde erwiderte gelassen ihren Blick.
    »Vielleicht auch nicht. Locke hat einmal gesagt, man
könne stets ›an den Himmel appellieren‹ und
auf die Gnade Gottes oder die der Natur hoffen. Ich will damit
sagen, Ax hat seine Wahl getroffen und Dee die ihre. Vielleicht
können sie diese Wahl vor einem Gericht rechtfertigen,
vielleicht auch nicht. Wie auch immer, die Entscheidung liegt
nicht bei uns, und ich wäre außerordentlich
erleichtert, wenn ich es vor mir rechtfertigen könnte, ihre
potenziellen Opfer nicht zu warnen. Aber wenn Sie das tun wollen,
nur zu.«
    Tamara rieb sich das Kinn und blickte wieder auf Ax’
Gekritzel nieder. Sie betrachtete Dees Bild und Talgarths Akte.
Dann sah sie zu Wilde auf und fragte abschließend:
»Und was macht man, wenn einen die Wissenschaft im
Stich lässt?«
    Wilde lachte. »Man vertraut auf sein
Glück.«
    Er drückte die Zigarette aus und sprang auf.
    »Je eher wir zu Eon Talgarths Gericht kommen, desto
besser«, sagte er. »Hab ich Recht?«
    »Ja«, antwortete Tamara. Sie erhob sich und suchte
Karten, Vorräte und Waffen zusammen.
    »Wie kommen wir dorthin?«, fragte Wilde.
»Mit dem Flugzeug?«
    Tamara packte Ladestreifen ein. Sie wandte sich lachend zu ihm
um.
    »Talgarth mag es nicht, wenn Flugzeuge in seiner
Nähe landen«, meinte sie. »Aus irgendeinem
obskuren Grund traut er ihnen nicht. Nee, wir nehmen einfach
genug Waffen und Geräte mit und schlagen uns zu Fuß
durch die wilden Maschinen durch. Das tun alle.« Sie
grinste. »Das ist Gesetz. Es mindert die Gefahr, dass vor
Gericht Kämpfe ausbrechen.«
    »Es gibt offenbar einiges, was ich nicht
weiß«, meinte Wilde sarkastisch.
    Tamara brummte etwas und wog prüfend einen Packen in der
Hand. Sie nahm eine schwere Pistole heraus und reichte sie

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