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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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ist alt«, sagte Myra, doch ich konnte
erkennen, dass sie nicht verärgert war. »Ich will dir
einen noch älteren erzählen. Einen sowjetischen.
›Woher wissen wir, dass der Marxismus eine Philosophie
ist? Wäre er eine Wissenschaft, hätte man ihn erst an Hunden ausprobiert.‹«
    Ihr Tonfall drückte eine solch vernichtende proletarische
Verachtung aus, dass wir alle lachen mussten, dann sagte Myra
scharf: »Also gut, Genossen, diese Leute waren Hunde, und
sie haben etwas zum Laufen gebracht. Ich wünschte, ihr
könntet ein paar Tage hier bleiben und euch das ansehen.
Oder kommt mich doch im Oktober besuchen.«
    »Warum im Oktober?«
    »Zu den Hundertjahrfeiern«, antwortete Myra.
»Wir planen ein richtig eindrucksvolles Feuerwerk.«
    »Das kann ich mir denken«, meinte Reid trocken.
»Zweifellos das größte, das die Welt je gesehen
hat. Bedauerlicherweise müssen wir uns um unsere eigene
Revolution kümmern.«
    Myra seufzte. »Die Geschäfte… Sind die
Verträge fertig?«
    »Es fehlen bloß noch die
Unterschriften.«
    Wir unterzeichneten, Blitzlichter ploppten, und das
war’s dann. Die Welt würde erfahren, dass ich die
Bombe besaß.
     
    Beim Zusammenbruch der Sowjetunion fand sich Kasachstan eine
Zeit lang in der ungewohnten Rolle einer Großmacht wieder,
da auf seinem Gebiet zahlreiche Atomwaffen lagerten. Beim
Zusammenbruch Kasachstans behielt eines der Fragmente einige
(andere und bessere) Atomwaffen übrig, mit dem Unterschied,
dass die Internationale Technisch-Wissenschaftliche
Arbeiterrepublik – die ursprünglich lediglich eine
Division ehemals sowjetischer Raketentruppen, ein paar tausend
radioaktiv verseuchte Kasachen und einen Steppenstreifen umfasste
– gewusst hatte, was sie damit anfangen sollte.
    Sie exportierte die nukleare Abschreckung. Nicht die Waffen
selbst – das wäre – Gott bewahre! –
illegal gewesen, sondern bloß die willkommenen Folgen, die
sich aus ihrem Besitz ergaben. Wir hatten einen Standardvertrag,
der die Option umfasste, gegen jeden, der Atomwaffen gegen uns
einsetzte und keinen umfassenden Schadenersatz dafür
leistete, einen Atomschlag auszulösen. Jeder, der uns
– versehentlich oder vorsätzlich – mit
Atombomben angriff, musste entweder dafür blechen oder wurde
seinerseits bombardiert.
    Die Schönheit dieses Arrangements bestand darin, dass
unbegrenzt viele Klienten – je mehr, desto besser -Anspruch
auf eine relativ kleine Anzahl von Sprengköpfen hatten, was
Ähnlichkeiten mit geteilten Währungsreserven hatte.
Außerdem bedeutete es, dass jeder, der der ITWAR ein
verlockendes Angebot für den Erstschlag unterbreiten wollte,
mehr bieten musste, als sämtliche Abschreckungskunden
zusammen zahlten, und diese Summe wäre weit
größer gewesen, als der für den Bau eigener oder
den Diebstahl fremder Atomwaffen erforderliche Betrag. Daher war
die Gefahr, dass das System für eine atomare Aggression
genutzt wurde, gering. Vor allem aber war die atomare
Abschreckung zum ersten Mal jedem zugänglich, der bereit
war, dafür zu zahlen, und die Kosten waren so niedrig, dass
jedes Land sie sich leisten konnte.
    Zumal in Anbetracht des Wettbewerbs: verbrecherische
U-Boot-Kommandanten, Raketenmannschaften in Sibirien und Alaska,
die zur Abwechslung mal echtes Geld sehen wollten, Gruppen
ehrgeiziger Offiziere in Afrika – alle hatten sie
angefangen, Anteile am Familienplutonium zu verscherbeln.
    Ein weiterer Triumph des freien Marktes.
     
    Nicht alle waren damit einverstanden.
    »Als ich dich im Fernsehen mit diesem
magersüchtigen Flittchen gesehen habe«, schimpfte
Annette, »dachte ich schon, du würdest mit ihr
durchbrennen! Aber das hier ist noch schlimmer!«
    Nein, das ist es nicht, dachte ich, und ich hatte Recht. Wir
stritten uns, wir diskutierten, wir kamen darüber hinweg.
Das waren bloße Ideen, keine Körper. Ich hätte
ein wirklicher Massenmörder sein können und nicht
bloß ein potenzieller, und es hätte sie trotzdem mehr
verletzt, wenn ich mit einer Anderen ins Bett gegangen
wäre.
    Nicht, dass ich ihr dies gesagt hätte. Manche Waffen
behält man besser in Reserve.

 
11    Ausfallzeit
     
     
    Wilde musterte misstrauisch das Paket und die beiden Waffen,
die Tamara auf den Tisch gelegt hatte. Er hob das Paket hoch und
legte es dann wieder hin.
    »Was ist da drin?«, fragte er. »Eine
Atombombe?«
    Tamara sah vom Scanner auf, mit dem sie die neuesten Karten
des Fünften Viertels

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