Die Mars-Stadt
im Ödland
zwischen Karaganda und Semipalatinsk gelegen. Teil des ehemaligen
Kasachstans.
»Ich habe eine Überraschung für dich«,
sagte Reid, als wir auf den Bus warteten.
»Was denn?«
»Wart’s ab.«
Ich sah ihn an und zuckte die Achseln, duckte mich vor dem
staubtrockenen Wind und versuchte, nicht allzu tief zu atmen. Die
Radioaktivität sollte mittlerweile erträglich sein,
doch ich deutete die Folgen des Jetlags bereits als einsetzende
Strahlenkrankheit.
Das Fughafengebäude, eine von Neonröhren erhellte
Halle mit Sitzen, Monitoren und Lautsprechern, sah im Grunde aus
wie alle anderen, doch die Unterschiede sprangen ins Auge. Der
Duty-Free-Shop war nicht abgetrennt, da es keine Zollschranke
gab. Und auch keine Passkontrolle – bloß eine
flüchtige Waffenregistrierung und einen Gang durch den
Scanner. Das einzige Schmuggelgut von Interesse wäre eine
Atombombe gewesen, und die hätte sich nicht so leicht
verstecken lassen. Keine Touristen: Eintreffende wie abfliegende
Fluggäste wirkten seriös: Männer in Anzügen
und Uniformen. Nur sehr wenige Frauen, abgesehen von den
Flughafenangestellten, die ihren Tätigkeiten mit einem
beinahe aufreizenden Mangel an Eile nachgingen, was selbst
für die Reinigungskräfte galt. Riesige Plakate mit den
Köpfen von Trotzky, Koralew und Kapitsa blickten auf sie
herab. Dies waren die Männer, die den Sowjets die Armee, die
Rakete und die Bombe geschenkt hatten und dafür mit
unterschiedlichen Dosen stalinistischen Terrors belohnt worden
waren.
Überall war das irritierend häufige Ploppen von
Blitzlichtern zu vernehmen. Fotografen wanderten durch die Menge,
musterten eifrig die Gesichter und knipsten Offiziere, Politiker
und Firmenvertreter, als handele es sich um Videostars. Die
Betroffenen reagierten ganz ähnlich wie diese. Überall
wurden von hässlichen, finster dreinblickenden Männern
Posen eingenommen: Händeschütteln, Umarmungen,
Schulter-an-Schulter-Stehen und Grimassenschneiden wie
verrückt.
»Wohin jetzt?«, fragte ich, als Ndebele und ich
für einen Moment am Rande der Halle stehen blieben. Reid
musterte mich mit einem Anflug von Ungeduld.
»Wir sind da«, sagte er. »Hier bringen wir
die Sache über die Bühne. Und zwar öffentlich, das
ist der springende Punkt.«
Er näherte sich zielstrebig einer Nicafé-Filiale.
Ich eilte ihm nach.
»Daher die Paparazzi?«
»Klar. Bleib cool«, meinte er zu Dez, der jeden
anfunkelte, der uns ansah.
Wir tranken den ersten ordentlichen Kaffee dieses Tages an
einem Tisch, der zu niedrig war, um bequem zu sein, ganz so, als
wäre er dazu gedacht, den Kundendurchsatz zu erhöhen.
Im Fernsehen sangen vier hübsche Südostasiaten in
Ballkleidern aus pinkfarbenem Satin in fürchterlichem
Englisch, bearbeiteten ihre Instrumente und hopsten auf der
Bühne herum. Der Name der Gruppe wurde eingeblendet: die Katoi Boys.
»Das sind Jungs?« Dez hob die Brauen.
»Flüchtlinge aus Thailand«, meinte ich.
»Meine jüngste Enkeltochter hat mir erzählt, die
wären unter den Boygroups der letzte Schrei.«
»Abartig, Mann«, sagte Dez mit aufrichtig
calvinistischem Missfallen. »Dekadent.«
»Ja, das findet die Islamische Republik auch«,
bemerkte Reid, während er die Menge musterte. Ich drehte
mich um. Eine groß gewachsene, schlanke Frau in einem
knöchellangen Pelzmantel näherte sich uns mit einem
breiten Willkommenslächeln. Fotografen trotteten ihr in
respektvollem Abstand hinterdrein. Ich wäre beinahe
hintüber gekippt, als ich sie erkannte: Es war Myra, meine
Jugend-Ex aus dem Institut für sowjetische Studien in
Glasgow.
»Hallo, Leute«, sagte sie. Sie fasste mich bei den
Händen, legte die Wange an meine und flüsterte:
»Lächle, verdammt noch mal!«, und ich wandte
mich mit einem idiotischen Grinsen zu den Blitzlichtern um.
Eine meiner frühesten Erinnerungen betrifft
seltsamerweise die Sowjetunion, den Weltraum und die Atombombe.
(Ich erinnere mich nicht an meine Geburt, doch ich weiß,
dass es am 5. März 1953 geschah, an dem Tag, als Stalin
starb. Halten Sie davon, was Sie wollen.) Ich spielte auf dem
Teppichboden unseres Hauses in Streatham, einem Vorort von
London. Ich spielte mit einer Spielzeugrakete. Wenn man das Auge
ans Loch am Ende drückte, konnte man den Teil eines Baumes
erkennen, da die Rakete in Hongkong aus einer recycelten Dose
hergestellt worden war. Nicht deshalb, weil die Firma
ökologisch ausgerichtet gewesen
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