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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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[Ende des Gesprächs]
     
    Über dem Südural gerieten wir in Turbulenzen. Ich
stand auf dem schmalen Gang in der Nähe des Hecks,
stützte mich an den Wänden ab und blickte starr aus dem
letzten Fenster. Als das Flugzeug kippte, sah ich die Berge. Mit
den langen Schatten der Morgendämmerung wirkten sie wie ein
Gebirgsmodell aus Pappmache. Etwas weiter in der Tiefe zerwehten
simultan mehrere gleichartige kleine weiße Wolken.
Eigenartig.
    Das Flugzeug legte sich abermals auf die Seite, dann folgte
ein Luftloch, dann ein rascher Aufstieg. Aus der winzigen
Toilette kam ein Aufschrei.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja, klar!«, rief Reid. »Hab mich bloß
geschnitten.«
    »Was machst du eigentlich da drin?«
    »Ich rasiere mich.«
    Vor zehn, nein, fünfzehn Minuten, bevor ich ihm
leichtsinnigerweise den Vortritt auf die Toilette ließ,
hatte er sich Wangen und Kinn mit einem Elektrorasierer
abgeschmirgelt. Meine Blase protestierte heftig. Du kannst
meinetwegen Mikrorobots in deinen Eingeweiden rumkriechen lassen,
teilte sie mir mit, aber es gibt gewisse Grenzen… Es war
höchste Zeit, endlich den Egoismus zu praktizieren, den ich
immer predigte.
    »Was rasierst du dir? Die Beine?«
    »Die… Handrücken«, antwortete Reid mit
zusammengebissenen Zähnen. »Hab die
Scheißgummihandschuhe vergessen, als ich zum ersten Mal die
Kopfbehandlung durchgeführt habe.«
    Er trat mit einem dümmlichen Grinsen und Rasierschaum an
den Handgelenken aus der Tür. Hämisch lächelnd
ging ich an ihm vorbei. Mein Strahl brachte die
spucknapfgroße Toilettenschüssel aus Aluminium zum
Klingeln. Anschließend spritzte ich mir kaltes Wasser ins
Gesicht, knöpfte mir das Hemd etwas weiter auf und schmierte
mir unbeholfen Deodorant in die Achselhöhlen, trocknete mir
den Bart, bürstete mir das Resthaar, rieb mir den kahlen
Schädel mit einem Handtuch ab und legte eine Krawatte an. Da
ich mich die ganze Zeit bücken oder hinhocken musste und der
Spiegel kaum größer als ein Make-up-Spiegel war,
ließ sich der Erfolg meiner Bemühungen schwer
einschätzen. Ich kicherte noch immer, jetzt da ich wusste,
weshalb Reids Haar zwar ebenso grau wie meines, dafür aber
lang und dicht war.
    Genreparierendes Shampoo, sieh mal an! Welche Eitelkeit,
dachte ich, während ich die Mundspülung ihre Arbeit
verrichten ließ, dann spuckte ich aus und vergewisserte
mich, dass meine Zähne funkelten.
    Die North British Mutual hatte eine Schutzagentur
hervorgebracht, und Reid war an deren Management-Buy-out vor
einigen Jahren stark beteiligt gewesen. Diesem Flug nach zu
schließen, ging es der Gesellschaft für
Wechselseitigen Schutz nicht schlecht. Der Biznessman-Jet, den sie für diesen Reiseabschnitt gechartert hatte, war zwar
ein wenig beengt, ein wenig spartanisch, doch es gab immerhin
eine Stewardess, eine usbekische Schönheit mit einem
gefrorenen Lächeln, die kein Englisch sprach. Als ich meinen
Sitz erreichte, war bereits das Frühstück serviert
worden: Croissants aus der Mikrowelle und ein Kaffee, der, dem
Geschmack nach zu schließen, ebenfalls in der Mikrowelle
aufgewärmt worden war. Beides war recht heiß.
    »In der Mikrowelle erwärmt, dass ich nicht
lache«, grummelte Reid. »Wahrscheinlich haben sie das
Zeug vors Radar gehalten.«
    »Könnte eine Erklärung für die
Turbulenzen sein«, sagte ich.
    »Turbulenzen?«, schnaubte Reid. »Das waren
Flakgeschütze, Mann.«
    »Was!« Ich wandte mich alarmiert zum Fenster
um.
    »Keine Bange«, meinte Reid. »Das waren
bloß Banditen. Eine 777 können sie in dieser
Höhe nicht treffen.«
    Unser Bodyguard, Predestination Ndebele, nickte
bedächtig. Ein geschmeidiger, drahtiger Zimbabwaner, der
für Reid arbeitete.
    »Wenn du Angst hast«, bemerkte er, »kannst
du ja versuchen, in Adnan zu landen.«
    »Wenn du’s sagst, Dez.«
    Reid sah von den Papieren auf. »So viel ich
weiß«, meinte er mit leichtem Stirnrunzeln,
»hieß es früher Grivas.«
     
    Wir flogen noch ein paar Stunden über eine erschreckend
kahle Ebene, dann gingen wir mitten in der Einöde auf einem
ausgewachsenen internationalen Flugplatz nieder, auf dem es von
Militär- und Zivilfahrzeugen nur so wimmelte. In der Ferne
waren Raketensilos und Startrampen zu sehen; in der Nähe
eine aus niedrigen Fertighäusern bestehende Siedlung:
Kapitsa, die Hauptstadt der Internationalen
Technisch-Wissenschaftlichen Arbeiterrepublik, beziehungsweise
das Testgelände Nummer Drei, irgendwo

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