Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
da sie weiß, dass die
Telefonleitungen überwacht werden, wird sie
vielleicht…«
    »Das weiß sie nicht«, widersprach Annette.
»Das solltest du eigentlich wissen. Eleanor wird nur
mitgekriegt haben, wie der Bildschirm dunkel geworden
ist.«
    Als mich Annette nach einigem Hin und Her beruhigt hatte,
marschierte ich mit meiner Kommunikationsausrüstung aus dem
Zimmer und setzte mich auf ein Bett. Durchs offene Fenster drang
der traurige Gesang der vielen fundamentalistischen und
charismatischen Kirchen herein, die sich im Laufe der Jahre in
der Gegend niedergelassen hatten. Ich fragte mich, ob meine
Aktivitäten nicht vielleicht ebenso nutzlos waren. Dann aber
erfüllte mich mein Skeptizismus mit neuer Kraft. Ich
drückte ein paar Tasten.
    Bei der Beratung ging es mittlerweile nur noch darum,
wofür man sich einsetzen sollte: für ein britisches
Eingreifen; für ein amerikanisches Eingreifen; für
Neutralität; und nebenbei auch darum, ob wir den Krieg als
Gelegenheit nutzen sollten, einen liberalistischen Aufstand
anzuzetteln.
    Damit konnte ich leben.
     
    Das Telefon klingelte. Ich erwachte und schaltete mit einer
Handbewegung das Licht ein. Es war 3 Uhr 38, und das rote
Lämpchen am Telefon blinkte: ein verschlüsselter Anruf.
Ich nahm ihn entgegen und drückte den Schalter. Myras
Gesicht erschien auf dem Display, schwarz-weiß, mit
Militärkäppi und Uniform. Sie sah aus, als wäre
sie die ganze Nacht über auf gewesen.
    »Oh«, sagte ich unwirsch, benommen und gereizt vor
Müdigkeit und Enttäuschung. »Du bist es.«
Ich hatte gehofft, es wäre Eleanor.
    »Hallo, Jon«, sagte Myra. »Tut mir Leid,
wenn ich störe, aber es…«
    »Wer ist dran?«, fragte Annette schlaftrunken.
    »Myra«, antwortete ich.
»Geschäftlich.«
    Annette warf einen Blick auf den Monitor, brummte etwas und
zog sich die Decke über den Kopf. Undeutlich hörte ich
etwas wie ›Atomhure‹ heraus und hoffte, Myra habe
nichts davon mitbekommen.
    »Worum geht’s denn?«
    »Um die Deutschen«, sagte Myra. »Sie wollen
Nuklaerschutz einkaufen und machen uns ein sehr gutes
Angebot.«
    »Dann solltet ihr es wohl besser annehmen«, sagte
ich, »bevor sie euch erreicht haben.«
    »Das denke ich auch«, meinte Myra. »Das
Problem dabei: Wie du dir vorstellen kannst, sind wir
überbucht. Die Deutschen bieten uns an, unsere Kunden
auszuzahlen. Möchtest du verkaufen?«
    »Zu welchem Preis?«
    »Fünf Millionen DM in Gold zum Vorkriegskurs
– das heißt, zum Kurs von Vorgestern. Und keine
Fragen. Ich habe im Moment gerade den deutschen
Verhandlungsführer in der Leitung, und das Schweizer
Bankkonto ist verifiziert.«
    »Herrgott noch mal! Lass mich einen Moment
überlegen, okay?«
    Um meine Verwirrung zu verbergen, drückte ich den
Stumm/Blindschalter und versuchte nachzudenken. Mir kam es
seltsam vor, dass die Deutschen einen solchen Deal nicht vor
Beginn der Operation ›Wiederherstellung der
Ordnung‹ abgeschlossen hatten, aber vielleicht hatten sie
ja befürchtet, etwas von ihren Absichten könnte
durchsickern. Und jetzt improvisierten sie eine atomare
Verteidigungspolitik im Blitzkriegtempo.
    Das Angebot war verlockend, vom Geld einmal ganz abgesehen.
Schließlich hielt sich Eleanor in Berlin auf…
    Aber wir waren hier. Die britische atomare Abschreckung war
derzeit durch einen Streit mit den USA blockiert, deshalb mussten
wir uns allein auf unser Abkommen – und andere private
Arrangements – verlassen. Vielleicht würden wir die
Option ja brauchen, wenn Eleanor wohlbehalten wieder zu Hause
war?
    Und es gab noch eine andere Überlegung. Wenn wir unseren
Anteil an den kasachischen Atomwaffen an die Deutschen
verkauften, wäre die FreiRaum-Gesellschaft unbestreitbar in
den Krieg verwickelt, und zwar auf Seiten der Deutschen. Die
Implikationen waren unüberschaubar und würden kaum
erfreulich ausfallen.
    Ich schaltete wieder ein. Myras Brauen ruckten in die
Höhe.
    »Und?«
    »Tut mir Leid, Myra, wir kommen nicht ins Geschäft.
Das ist nicht unser Kampf, und überhaupt.«
    So klein der Monitor war, sah man ihr die Erschöpfung
doch deutlich an. Dennoch sagte sie ohne Vorwurf: »Ich
verstehe. Also gut, Jon, ich versuch’s woanders. Ich mach
Schluss.«
    »Gute Nacht. Bis dann mal.«
    Sie lächelte, als rechnete sie nicht damit, dass wir uns
jemals wiedersehen würden. Ihr Bild schrumpfte zu einem
Punkt.
    So folgenschwer sich meine Entscheidung im Nachhinein erweisen
sollte,

Weitere Kostenlose Bücher