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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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folglich über
zehn Jahre britischer Geschichte hinweg, während die
Republik eine Revolution legalisierte.
    Es wäre eine interessante Revolution geworden. Welche der
miteinander wetteifernden extremen Gruppierungen – unsere
eigene eingeschlossen – am Ende den Sieg davongetragen
hätte, darüber wird noch immer gestritten. Jedenfalls
erlebte ich eine interessante Woche. Die Weltraumbewegung war so
groß wie früher die Friedensbewegung, und die Raketen
auf unseren Fahnen gehörten uns. Ich überließ die
Demonstrationen den Ausschussmitgliedern, die sich darauf
verstanden, und verbrachte meine Zeit damit, in den
Freihandelszonen und im Grüngürtel Milizen und
Schutztruppen zu organisieren und mit unseren Vertragspartnern im
Staatsapparat zu sprechen, während ich zwischendurch wie
rasend schrieb. Hätte ich mir nicht Sorgen um Eleanor
gemacht und in ständiger Angst vor deutschen Luftangriffen
gelebt, wäre dies die glücklichste Zeit meines Lebens
gewesen. Ich hatte mein Petersburg erreicht.
     
    Jemand rüttelte mich an der Schulter. Ich hob den Kopf
von den Unterarmen und blickte mich um. Es war 10 Uhr 15, und ich
saß an meinem Schreibtisch im Büro von FreiRaum. Sechs
Stunden zuvor hatte ich für einen Moment die Augen
geschlossen. Das Büro war gut gefüllt, doch es war
ruhig. Die Leute blickten auf Monitore, nicht auf mich; mit
Ausnahme von Annette, die mich am Arm gepackt hielt und mich
anstarrte.
    »Was ist passiert?«
    »Kiew wurde mit Atomwaffen angegriffen.«
    »Mein Gott.«
    Ich stand auf. Sie barg das Gesicht an meiner Schulter. Ich
hielt sie fest, während sie von Schluchzern geschüttelt
wurde, und blickte mich finster um, bis mir jemand wortlos einen
Monitor herüberschob. Eine ganze deutsche Armee war durch
einen Luftschlag auf die ansonsten menschenleere ukrainische
Hauptstadt ausgelöscht worden. In den nächsten Minuten
passierte an der Südfront in Baku das Gleiche. Die
russischen und türkischen Armeen waren beide aktiv geworden,
und es wurde von Landeaktionen britischer und amerikanischer
Truppen an der Mittelmeerküste berichtet.
    Und Israel hatte Deutschland den Krieg erklärt. Das war
grotesk. Was können die schon ausrichten?, dachte ich, und
dann wurde mir auf einmal klar, dass sie vermutlich für die
Atomschläge verantwortlich waren.
    Ich schaltete auf N-TV um, weil ich wissen wollte, wie
Deutschland reagierte. Ein Reporter sprach vor dem Bundestag in
die Kamera. Es ging um Frankfurt, und er wirkte besorgt.
    Er legte sich die Hand aufs Ohr, neigte den Kopf.
    Er erbleichte, der Bildschirm wurde weiß.
    Seine Stimme, wenn man denn von einer Stimme sprechen wollte,
war noch eine Weile zu hören.
     
    Der Krieg war vorbei. Der Friedensprozess begann. Für
Britannien begann er mit Stealth-Bombern und Cruise Missiles,
dann folgten die Fallschirmjäger, Teletrooper und
Lynch-Mobs. Die royalistische Junta, deren amerikanische
Verbündete und der zwischen beiden Fronten befindliche
britische konterrevolutionäre Mob töteten in sechs
Tagen einhunderttausend Menschen. Anschließend
besaßen sie ein Land, das seinen Platz in der Neuen
Weltordnung kannte.
    Es war immer noch unregierbar. Bereits bei den
republikanischen Reformen, die zur Deregulierung des
Wohnungsbaus, der Erziehung und der Arbeitsmärkte
führten, hatte sich, wie ich es sah, eine Tendenz zur
Selbstghettoisierung gezeigt, zumal dann, wenn die Entwicklungen
nicht spontan erfolgten, sondern von der Regierung im Zuge der
Individualisierungspolitik gefördert wurden, wobei diese
eine unglückliche Hand bewies. Die Bombardierungen, die
Invasion und der Bürgerkrieg verfestigten diese Tendenz zu
einer unwiderstehlichen Kraft, da jede Minderheit sich in die
vermeintliche Sicherheit ihres eigenen Stammes flüchtete.
Regionalparlamente griffen das Stichwort auf und zogen alte
Grenzen mit frischem Blut nach: Nordwales, Südwales,
Cumbrien, Westschottland, Ostschottland… selbst unser
Grüngürtel und die Freihandelszonen verwandelten sich
in sichere Häfen, in denen sich die Flüchtlingen
gegenseitig auf die Zehen traten. Die Milizen verteidigten das
Gebiet so gut es ging.
    Bei seiner letzten Sitzung übergab die republikanische
Bundesversammlung die Macht an den Armeerat, dem die wenigen
höheren Offiziere angehörten, die loyal geblieben
waren. Dieser rief die Bevölkerung dazu auf, sinnlose Opfer
zu vermeiden und den bewaffneten Widerstand zu einem
späteren

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