Die Mars-Verschwörung
vertreiben.«
Seufzend beobachte ich Vienne, die barfuß und offenbar unempfindlich gegen den Kies die Stufen hinunter auf den Pfad springt.
Ich nehme mir ein paar Sekunden Zeit, um meine Stiefel anzuziehen, ehe ich ihr folge. Als sie kurz darauf den Lichtschein aus dem Tempel hinter sich lässt, ist nur noch ihr leinener Salwar Kamiz zu sehen. Rasch gleitet sie über den Pfad, still, geisterhaft. Erst das Quaken von Fröschen verrät mir, dass wir in der Nähe des Teichs sind.
» Ich habe keine Frösche gebraucht, um mir der Lage des Teichs bewusst zu sein«, sagt Mimi.
»Weiß du was?«, antworte ich und wäre beinahe gegen Vienne geprallt. »Ich glaube, du brauchst dringend ein bisschen Zeit zur Datenverarbeitung.«
»Ich kann Multitasking«, sagt Mimi. »Ich kann gleichzeitig kiebitzen und dich veräppeln, Schwabbelarm.«
Ich gebe mich geschlagen. »Also gut, bleib wach. Aber halt dich ein bisschen zurück, ja?«
Ich beobachte, wie Vienne ein Streichholz anreißt und drei in einer Reihe am Teichufer angebrachte Fackeln entzündet. Dann setzt sie sich auf einen glatten Stein am Ufer und klopft auf einen Felsblock neben ihr. »Pack dich hin, Soldat.« Der Tonfall klingt vertraut. Die alte Vienne. Die vertraute Vienne, in deren Nähe ich mich behaglich fühle. Die Kriegerin. Nicht das fliegende Mädchen, das mein Inneres in Wallung versetzt.
Die Erde und ihr Mond, die wie zwei Tänzer stets auf Ärmlänge voneinander entfernt scheinen, erfüllen den Abendhimmel und sind nah genug, sie mit bloßem Auge zu sehen. Es ist schwer zu glauben, dass ein Planet, so strahlend blau und lebendig, einen so unwirtlichen Mond haben kann. Doch von beiden ist Luna der Himmelskörper, der heller leuchtet.
»Als ich noch jung war«, sagt Vienne, »jünger als Riki-Tiki heute, habe ich oft hier gesessen, Steine über das Wasser hüpfen lassen und mich gefragt, wie es wohl ist, auf der Erde aufzuwachsen. Stell dir vor, du hättest immer so viel Wasser, wie du trinken kannst, so viele Nahrungsmittel, wie du essen kannst ...«
»Und so viele Pockenviren, wie du dir einfangen kannst«, sage ich. »Weißt du, die Schwerkraft auf der Erde ist viermal so groß wie auf dem Mars. Das bedeutet, dass dein Arsch auf der Erde viermal so breit wäre.«
Sie boxt mich spielerisch in die Rippen. »Sei ernst.«
»Ich bin ernst.«
»Dann sei nicht ganz so ernst. Du bist immer Durango, der Chief, aber nie Durango, der Mann, nicht wahr?« Sie wirft einen Kieselstein in Richtung Teich. Er prallt von einer Seerose ab, ehe er mit einem feuchten Plopp im Wasser versinkt. »Selbst wenn du keine Panzerung trägst, kommt man nicht zu dir durch. Verstehst du, was ich meine?«
Was soll das jetzt? Vienne sendet einen steten Strom widersprüchlicher Signale aus. Erst hätte sie mich beinahe geküsst, dann ist sie plötzlich so fern wie ein Mond. In einem Moment ist sie ernst, dann wieder ist sie so zugänglich wie jetzt. So viele gemeinsame Monate, und trotzdem ist das, was zwischen uns ist, noch immer ... nun, sagen wir, heikel. Manchmal träume ich davon, sie einfach in die Arme zu ziehen und in einem leidenschaftlichen Kuss mit ihr zu verschmelzen. Dann wieder denke ich, nein, lass es lieber, das ist der schnellste Weg, ein paar Zähne zu verlieren.
Also werfe ich meinerseits einen Stein ins Wasser und lasse ein bisschen Zeit vergehen, ehe ich auf ihre letzte Bemerkung eingehe. »Nein, so richtig verstehe ich dich nicht«, in der Hoffnung, dass sie deutlicher wird.
Aber das passiert nicht. Ihr Schweigen dauert an.
Wolken ziehen auf und verhüllen bald die zwei hellen Punkte am Himmel, die Erde und Mond. Im Fackelschein fällt mir ein zarter silberner Anhänger auf, der an einer Kette um Viennes Hals baumelt. In der Mitte des Anhängers ist eine Lotusblüte eingraviert, umgeben von ihren Blättern.
»Was ist das?«
»Diesen Anhänger habe ich bekommen, als ich ein Kind war. Ich habe ihn hier gelassen, als ich ... gegangen bin.« Sie steckt ihn in ihren Ausschnitt. »Tut mir leid, das mit dem Meister und der Meisterin. Sie meinen es gut, aber manchmal geht ihre Begeisterung für das Bon-Odori mit ihnen durch.«
»Ach, das war halb so wild. Ich habe schon Schlimmeres erlebt. Zumindest haben sie keine Schusswaffen. Und sie essen keine Menschen.«
»Also magst du sie?«
»Ja.«
»Das freut mich. Sie mögen dich nämlich auch. Besonders Riki-Tiki. Sie sagt, du wärst sehr hübsch und würdest einen perfekten Ehemann abgeben.«
Meine Stimme
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