Die Marseille-Connection
wie Sie mir mitteilen. Nur weiß ich leider nicht, wie ich Ihnen behilflich sein kann, meine Sekretärin kündigt Sie als Investor an, und ich muss Ihnen sagen, mir ist nicht recht wohl dabei. Üblicherweise verhalten sich unsere Kunden anders.«
Aleksandr sah sich um. Abzeichen, Fotos von Baustellen, Zeitungsausschnitte mit Geistlichen und Politikern. Nichts weiter Interessantes.
»Ich habe Geld zu investieren, und Sie sind Bauunternehmer«, entgegnete er unbeeindruckt. »Wir haben beide Geld auf derselben Schweizer Bank, das wir den Steuerbehörden unserer Länder entzogen haben, und daher meine ich, wir könnten einander nützlich sein.«
Matheron begriff blitzartig. »Wie nützlich genau, Monsieur Peskow?«
»Sehr nützlich. Und nicht nur einmal … Es sind alle Voraussetzungen für eine gewinnbringende Verbindung gegeben.«
»Tatsächlich?«
In dem Moment kam ein junger Mann herein, ungefähr in Aleksandrs Alter. Er war ganz offensichtlich nicht aus demselben Holz geschnitzt wie sein Vater, groß, dünn, mit bis auf die Schultern fallenden blonden Haaren und einem unanmutigen sensiblen Mund. Das musste er alles von seiner Mutter haben.
»Monsieur Peskow, mein Sohn Édouard.«
Schlaffer Händedruck, ausweichender Blick. Aleksandr war schon klar, mit welchem der beiden er Geschäfte machen würde.
»Lassen Sie uns doch zusammen zu Abend essen, ich lade Sie ein«, meinte Gilles. »Dann können wir in Ruhe reden. Jetzt bin ich leider verhindert, ich war auf Ihren Besuch nicht vorbereitet.«
»Stellen Sie ruhig Nachforschungen über mich an« – der Russe zeigte, dass er genau wusste, wie der Hase lief –, »das ist nur professionell. Sie gefallen mir, Monsieur Matheron.«
Das Restaurant war ein protziger Luxusschuppen, und die Gäste passten dazu. Offenbar ein Muss für alle in Marseille, die zählten. Wer von den Kellnern nicht ehrerbietig gegrüßt wurde oder an wessen Tisch der Sommelier verspätet erschien, der hatte noch einen weiten Weg vor sich.
Die Matherons hatten ihren Stammtisch mit Seeblick in einer Ecke. Sie kamen mit zehnminütiger Verspätung. Peskow hatte die Zeit genutzt, um die örtliche Fauna zu beobachten, und dazu am Mineralwasser genippt. Er begriff diese Stadt und ihre Bewohner nicht. Überhaupt war das Mediterrane Lichtjahre von seiner Denkweise entfernt. In Zürich mit seiner komplexen deutschschweizer Kultur würde er sich wohlfühlen. Alles wäre zwar auch nicht leicht, aber doch klar und begreiflich. Geometrisch. Marseille war wie Giuseppe. Verworren, spitzfindig, sonnenverwöhnt. In dem großen Speiseraum sprach alles im Flüsterton, dennoch war es so, als würden die Leute herumschreien wie auf dem Fischmarkt. Blickwechsel, Grimassen, Lächeln, alles transportierte Botschaften, die er nie würde entziffern können.
Bei der Gründung ihrer Gang hatten sie sich als erste Regel gegeben, nicht in die Welt des Verbrechens einzutreten, bevor sie nicht ihren Doktor hatten, mindestens drei Sprachen beherrschten und kreuz und quer durch die Welt gereist waren.
Die zweite Regel: Auf nicht hinlänglich bekanntem Terrain nichts Kriminelles anfangen. Diese Regel hatten sie schon gebrochen, brechen müssen, aber falsch war es dennoch. Dann konnte umso leichter etwas schiefgehen.
Gilles saß zu seiner Rechten, Édouard ihm gegenüber. Die ersten fünf Minuten vergingen mit Geplauder über Essen und Wein. Sie bestellten übertrieben viele Fischgerichte und Meeresfrüchte, dazu eine Flasche Côtes de Provence, um sich nicht von Marseille zu entfernen. Der Sohn kam dem Vater zuvor und sprach den Grund des Treffens als Erster an.
»Monsieur Peskow, möchten Sie in Neubauvorhaben oder in Umbaumaßnahmen investieren? Das sind hier bei uns nämlich zwei getrennte Märkte«, erklärte er so aufgesetzt erfahren, dass man es ihm gleich nicht abnahm. »Im Moment beispielsweise ziehen wir ein neues Viertel im Osten der Stadt hoch. Wohnungen für die Mittelklasse. Sie können zu extrem günstigen Konditionen so viele Einheiten kaufen, wie Sie wollen, und sie dann zum Marktpreis weiterveräußern.«
Aleksandr schob den Teller mit in Sud gedünsteten Seeanemonen zurück und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Langsame, gemessene Bewegungen. Édouard quatschte weiter. Der Russe brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. »Mittelklasse? Die europäischen Regierungen plündern zurzeit die Ersparnisse der Mittelklasse, diese Wohnungen dürften weitgehend unverkäuflich bleiben.« Dann, zum
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