Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
aufflammte, wenn er
in Kurven langsam fahren musste, wurde jedoch durch den
Reiz der Landschaft gemildert. Sylvester überraschten die
Unberührtheit der Natur, ihr Reichtum und die scheinbare
Unendlichkeit der Taiga: Birken und Lärchen, im zarten,
frühlingshaften Grün, die Zedernzweige hatten lange hellgrüne
Spitzen, kündend von der urwüchsigen Kraft der Erde und –
von einem guten Jahr. Der Duft der neuen Nadeln drang in die
Kabine des Rovers, überlagerte den Dunst der Kunststoffe und
den Ozonhauch des Elektromotors. Sylvester genoss das. Er
hielt, als zwei sich zankende graue Eichhörnchen über die
Straße jagten, bewunderte ihre Sprünge über die Zweige. Er
stieg ein-, zweimal aus, stapfte neben der Straße durch die
Taiga, überlegte, dass die Natur sehr wohl in der Lage wäre,
mit dem Eindringling Asphaltstraße in einigen Jahren fertig zu
werden, und er löste sorgfältig dornige Ranken aus seiner
Hose.
    Dann kam rechter Hand das erste Anzeichen der Siedlung:
ein Bunker unweit der Straße, dessen Betonwände, noch nicht
vollständig durch Hecken verdeckt, das heterogene Ebenmaß
des Waldes unterbrachen. Erst als Sylvester den Motor
abgestellt hatte, vernahm er das leise Summen oder vielmehr:
Er spürte es und zweifelte nicht, dass er eine autarke
Energieanlage vor sich hatte, wie sie seit Jahrzehnten in
schwerzugänglichen Gebieten errichtet wurden,
vollautomatisierte, im Wesentlichen unterirdische
Fusionsmeiler. Aber gesehen hatte er bisher noch keine.
    Sylvester atmete auf, weil er schon befürchtet hatte, er hätte
sich verfahren. Und irgendwie flößte ihm der Meiler auch
Hoffnung ein. ,Wo es eine moderne Energieanlage gibt,
bekommt man auch Schweine’, dachte er.
    Dann lichtete sich der Wald, Häuser tauchten auf und auch
Menschen – zunächst eine Schar Kinder, die mit Fingern auf
Sylvester zeigten und ihn offenbar auslachten. „Ein
merkwürdiger Empfang“, dachte er. Und er überlegte
erfolglos, was wohl Komisches an ihm oder seinem Wagen
sein könnte. Klar wurde es ihm erst, als er wenig später an
einem Landeplatz für Senkrechtstarter vorüber kam, auf dem
an die 20 Kleinschrauber parkten. Sein Wagen war wohl nicht
komisch, belustigend schien, dass jemand mit einem
Landfahrzeug die entlegene Siedlung aufsuchte.
    Menschen winkten ihm freundlich zu. Er sah einen großen
Schulkomplex, ein Theater, eine Vielzahl von Läden in
stilvoller Bauweise zur Landschaft passend, nach seinem
Empfinden nichts Eintöniges. Und dann traf er auf die Farm,
die sich an einen Hügel schmiegte: weit ausgedehnte Gehege
und weiße Flachbauten.
    „So, Schweine brauchst du?“, brummte der Pförtner
bedächtig. Er war alt, uralt, hatte einen fast kahlen Schädel;
nur ein Kranz schütterer weißer Haare stand an den Schläfen
und hing vom Nacken über den Jackenkragen. Unzählige
Augenfältchen und ein verschmitzter Blick mochten von
Lebenserfahrung und Humor zeugen. „So, so, Schweine
brauchst du, Söhnchen“, wiederholte er.
    Es war nicht Sylvesters Absicht gewesen, bereits dem
Pförtner sein Anliegen vorzutragen. Er fühlte sich zwiefach
überrumpelt. Einmal war er darüber verwundert, dass es
irgendwo überhaupt noch einen Pförtner gab. Zum anderen
aber imponierte ihm der Mann selbst in seiner von vornherein
zu verzeihenden listigen und lustigen Neugier. Sylvester wurde
schnell klar, dass er, ohne den Wissensdurst des Alten
wenigstens einigermaßen gestillt zu haben, das Tor nicht
würde passieren können.
    „Und wozu, wenn ich fragen darf?“, fuhr der Greis
hartnäckig fort. Er richtete sich in seinem Liegesitz ein wenig
auf und begann in der Tasche seiner abgetragenen Jacke zu
kramen.
    ,Warum, zum Teufel’, dachte Sylvester, ,haben viele alte
Leute so einen sturen Hang zum Sparen. Konnte er nicht in das
nächste Magazin gehen und sich eine neue Jacke nehmen? Wie
Vater! Alle zehn Jahre mal etwas Neues, und dann unter
Protest.’ „Das geht schon noch“ und „auf meine alten Tage“,
hörte er ihn sagen. Und in diesem Augenblick nahm sich
Sylvester vor, während seines Urlaubs einen Tag länger bei
den Eltern zu verbringen.
    Der Alte hatte offenbar gefunden, was er suchte. Er zog einen
abgegriffenen Lederbeutel hervor und – Sylvester unterdrückte
nur mit Mühe einen erstaunten Ausruf – eine angekohlte Pfeife
mit zerbissenem Mundstück. Umständlich und bedächtig, als
sei es eine sakrale Handlung, blätterte der Mann den Beutel
auf, hielt ihn dabei mit den Knien fest, steckte

Weitere Kostenlose Bücher