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Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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sie sich jetzt an…?
    Anne – wie anders war sie gewesen als Wera und Theres. Sie
hatte beides gehabt, den Blick für das Reale und den nie
verletzenden fröhlich-spöttischen Humor
– und noch dazu
aktive, vorbehaltlose Hingabe.
    Allan nahm die Hand über die Augen.
Ihm war wieder, als schüttle Anne dicht über ihm den Kopf,
dass die kräftigen Haare sanft sein Gesicht bürsteten. Das trieb
sie, bis er in ihren Schopf griff, sie zu sich herabzog und in
dem wirren Vorhang ihren Mund suchte.
Einen Augenblick malte sich Allan aus, was sein könnte,
wenn Anne noch da, wenn sie nicht verunglückt wäre, wie sie
beide miteinander leben würden, sie vielleicht als bekannte
Genforscherin im zweiten akademischen Grad, er ihr
Techniker, ihr Operateur, der geschickt immer neue Tricks
erfand, Zellverschmelzungen herbeizuführen, Chromosomenbastarde, die meist aktiv weiterlebten, das taten, was Anne
wollte. Gewiss gäbe es heute die stabile Faunella, und sie
würde sich längst im Großtest befinden – auf dem Mars
vielleicht oder in der Sahara. Und Anne? Anne wäre dabei.
,Und ich hätte sie nach wie vor permanent zu kleinen
Entscheidungen nötigen müssen, die stets darin gipfelten: die
Faunella oder ich… Nein, wir hätten uns beide geändert,
abgeschliffen die Kanten und Ecken. Aber der Egoist war ich,
keine Frage!
Zu spät, mein Lieber! So bald treffe ich auf eine andere Anne
nicht. Und so schnell, Allan, vergisst es sich nicht.
Jetzt haben sie erneut mit der Faunella begonnen, und sie
kommen vorwärts. Doch sie sind im Ungewissen, warum
damals abgebrochen wurde.’
Nagy riss sich aus seiner Grübelei. Er benötigte Sekunden,
um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Mit einem Ruck setzte
er sich auf. Einen Augenblick befiel ihn ein leichter
Schwindel, und wie ein Fremder nahm er seine Umgebung auf.
Sein Blick glitt über die aus sibirischer Lärche
selbstgefertigten Möbel. Bekannte und Freunde bewunderten
immer wieder deren eigenwillige Form und bedrängten den
Hersteller, mehr davon herzustellen.
Allan lächelte. ,Nein, sie sind einzigartig und – bleiben es.
Gewöhnt euch daran, dass der ganze Nagy einmalig ist!’
Plötzlich durchrieselte ihn ein Schreck. So deutlich hatte er es
noch nie empfunden: Ja, ich bin einmalig – und wer wäre es
nicht! Aber Nagy, mein Freund, du bist ein Außenseiter, ein
krasser! Und ein schädlicher dazu!’
Nagy stützte die Ellbogen auf und bedeckte das Gesicht mit
den Händen. Sein klares, lange Zeit brachliegendes
analytisches Denken setzte ein. Jawohl, schädlich!’ Irgendwie
aber erleichterte ihn diese Erkenntnis, so als sei eine nach
langem Marsch am Fuß geriebene Blase eben aufgegangen; es
war jener Augenblick des Wohlgefühls vor dem unmittelbar
danach einsetzenden penetranten Brennen.
Und plötzlich stand da der Zusammenhang, die Gewissheit,
dass er, Allan Nagy, letztlich den Tod Annes verschuldet hatte.
Hart griff diese Erkenntnis nach ihm, und er erwehrte sich
dieser schrecklichen Einsicht nicht, er kostete die Bitternis bis
zur Neige aus. Wieder stand Anne plastisch vor ihm, ihr
Gesicht mit dem Ausdruck intensiven Nachdenkens, wie er sie
oft vor einem neuen Abschnitt in ihrer Arbeit mit dieser
verdammten Faunella angetroffen hatte. Es war ein
Gesichtsausdruck, der ihm, nachdem er sie kannte, deutlich
sagte, dass sie für nichts Zeit und Interesse haben würde,
weder für die Mutter noch Gesellschaft, noch den Freund und
sein Zärtlichkeitsbedürfnis. Und einen Augenblick stiegen
auch jetzt Ärger, Enttäuschung und Wut über diese verfluchte
Alge in Nagy auf; er hatte das Gefühl, als erwachse aus diesem
Zorn abermals die Rechtfertigung seines Verhaltens damals.
Dann aber fühlte er sich an jenen Abend versetzt, so deutlich,
als sei es der gestrige gewesen.
Er hatte Anne nicht zu Hause angetroffen. Sie sei noch im
Institut, hatte die Mutter lächelnd mitgeteilt. Ihr Lächeln zeigte
ihm deutlich, wie sie befriedigte, was in ihm eine Ärgerwelle
hochjagte.
Er wusste, dass die Mutter nichts gegen ihn hatte, dass sie
Wahl und Verhalten ihres Abgotts Anne akzeptierte, aber
lieber wäre es ihr wohl gewesen, er hätte sich nicht dazwischen
gedrängt. Was ihr offenbar tiefe Genugtuung bereitete, war die
Tatsache, dass Anne in bestimmten Stadien ihre Arbeit, die
Faunella dem liebeshungrigen Freund vorzog. Und diesen
Triumph hatte er ihr an jenem Abend aus dem Gesicht gelesen.
Er eilte zu Fuß durch Schneematsch, Sturm und Schauerregen
zu Anne ins Institut,

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