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Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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fast schon in der Gewissheit, dass der
gemeinsame Abend mit jedem Schritt dahinschmolz wie die in
den Regen gemischten Graupeln an den warmen
Fensterscheiben, an denen er mit hochgeschlagenem Kragen
vorbeistürmte, die Hände in den Taschen vergraben. Aber
heute sollte es kein gewöhnlicher gemeinsamer Abend werden.
Allan fühlte das spröde Papier zwischen den Fingern,
Eintrittskarten für Amed Konzilos Konzert, die ein großes
Wunder ihm beschert hatte als Überraschung, als Triumph und
als Hoffnung, dass der Abend doch noch gelänge.
Dann die Enttäuschung!
„Du weißt doch selbst, Allan, dass ich die Kulturen so nicht
liegen lassen kann!“, hatte sie gesagt und auf die Petrischalen
gewiesen, in denen unsichtbar, umgeben von trüber
Flüssigkeit, frisch kopulierte Faunella-Zellen schwammen.
Und die Augen bereits wieder an den Okularen des
Mikroskops, fuhr sie fort: „Die Karten wirst du reißend los –
oder besser: Du gehst allein. Das Wochenende halte ich mir
diesmal bestimmt frei!“ Und dann sah sie doch noch einmal
auf und fügte bittend und verheißungsvoll lächelnd hinzu: „Sei
lieb, Allan…“
Da hatte er sich rasch entfernt, dass die Enttäuschung nicht
all das aufgestaute Bittere aus ihm herausreißen würde, er
Anne Irreparables entgegenschleudern könnte.
Er hatte die Eintrittskarten zerfetzt in den Schneematsch
getrampelt und war dann frierend ziellos umhergestapft. Und
in dem Maß, in dem der Regen immer mehr seine Kleidung
durchdrang, wuchs ungezügelte Wut auf diese Faunella, diesen
Bastard, bis Allan sich langsam in eine Entschlossenheit
steigerte: Weg aus Werchojansk, alles hinter sich lassen.
Aber er war sich keineswegs sicher, wie lange das anhalten
würde. Er ahnte, dass ein zärtlicher Blick Annes solch einen
Entschluss rasch umwerfen könnte.
Noch mit dem festen Willen, Ernst zu machen, betrat Allan
eine Gaststätte, in der er der einzige Gast blieb. Wer schon
ging bei solchem Hundewetter aus dem Haus ohne lohnendes
Ziel? Er aß appetitlos, und auch der Genuss von 50 Gramm
Wodka änderte nichts daran, dass er von Minute zu Minute
niedergeschlagener wurde. Allan Nagy fühlte sich unglücklich
wie noch nie, und, das war geblieben. Er hätte sich auf der
Stelle davonstehlen mögen.
Später trat er wieder auf die Straße. Der Regen hatte
aufgehört, der Sturm jedoch zugenommen. Allan kämpfte
gegen ihn an, und es erfüllte ihn mit grimmiger Genugtuung,
ihm Meter um Meter abzutrotzen.
Er ließ sich ohne Ziel durch das Unwetter treiben. Zweige
schleiften an ihm vorbei, alte, vom Wind aus Winkeln
gestöberte Blätter flogen auf. Es wurde kälter. Der Matsch
verharschte. Später fauchte pulvriger Schnee horizontal durch
die Straßen.
Dann blies der Orkan den Mann vor sich her und riss ihn aus
seiner Lethargie. Allan hatte zu tun, sich auf den Beinen zu
halten. Um ihn her knallten lose Bretter, an niedrigen
Schuppen klapperte Blech. Es heulte und pfiff.
Allan fand sich vor dem Institut wieder. Er lehnte sich
gegenüber an einen Baum, richtete sich auf. Es war finster
ringsum. In den Fenstern des Flachbaus ein trüber Schimmer.
In Wehen gehüllt lag düster das Gebäude, verschwand
konturenlos in rasch ziehenden Schleiern.
In Allans Gedanken hämmerte es: ,Ich werde gehen!’ Er
spürte, dass er es so nicht länger ertrüge. Nie würde sich Anne
zu einer Entscheidung nötigen lassen.
Plötzlich fühlte Allan den Drang, vielleicht ein letztes Mal
durch dieses Institut zu gehen, Abschied zu nehmen.
Wieder hatte er zu kämpfen, als er die Straße überquerte, um
nicht umgerissen zu werden. Eiskristalle trafen das Gesicht wie
Nadelbündel.
Als er das Gebäude betrat, war es, als stülpe sich eine Glocke
über ihn. Eine Wärmewelle durchflutete ihn, sein Gesicht
glühte. Nur ganz entfernt Heulen und Fauchen.
Allan tappte die Treppe empor, knöpfte den Mantel auf, löste
den Schal. Müde schlug er den Weg über den Korridor zu
seinem Arbeitszimmer ein. Nur langsam drang in sein
Bewusstsein: Die Notbeleuchtung brannte.
Er ging an der Glaswand des Laboratoriums vorüber, drin
Dunkelheit…
Schon als er den Trakt passiert hatte, drang es vollends in
sein Bewusstsein: Dunkelheit! Die bunten Augen, sonst
strahlend im Finstern, erloschen.
Auf dem Absatz drehte Allan sich um. Verflogen war alles,
was ihn seit Stunden bedrängte.
Er riss die Tür zum Labor auf, stand, starrte ins Dunkel. Dort,
wo er rechter Hand die lange Front der Brutschränke wusste,
herrschte Finsternis.
Allan tastete nach

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